Haben sich Gemeinde und Bürgerschaft in Hochdorf zu spät um die Aufarbeitung des Gewaltverbrechens gekümmert? Hat das Zögern die AfD zu ihrer Mahnwache erst ermuntert? Diese Frage beschäftigt die Menschen im Dorf.
Auch nach den Kundgebungen am ersten Advent im Zusammenhang mit der Tötung eines 56-Jährigen stellen sich die Menschen in Hochdorf viele Fragen, während auf Facebook krude Antworten darauf kursieren: Haben die Hochdorfer versäumt, sich früher um die Aufarbeitung des schrecklichen Gewaltverbrechens in ihrem Ort zu kümmern? Hätte verhindert werden können, dass AfD-Funktionäre aus Kirchheim und Göppingen die Tat für ihre Zwecke mit einer so genannten Mahnwache ausnutzen?
Wäre die AfD in jedem Fall aufgetaucht?
„Manche Leute stellen die These in den Raum, dass eine Lücke entstanden ist, die die AfD ausgenutzt hat“, berichtet Karsten Rößler, der Mitinitiator der Gedenkveranstaltung. Aber wäre die AfD nicht trotzdem gekommen, fragt sich der Hochdorfer, der für die SPD im Gemeinderat sitzt. Ihm sei wichtig gewesen, dass es bei dem Gedenken am vergangenen Sonntag um eine würdige Erinnerung an das Opfer der Bluttat und den Ausdruck des Mitgefühls gegenüber den Hinterbliebenen ging – und nicht um die AfD.
Wer einen Blick auf die Debatte in der Hochdorfer Facebookgruppe wirft, stößt mehrfach auf den Vorwurf, es habe im Ort zunächst kein Gedenken für den 56-jährigen Hochdorfer gegeben, der am 15. November auf furchtbare Weise ums Leben gekommen ist. Der mutmaßliche Täter, ein 24-jähriger Mann mit afghanischem Pass, hatte ihn auf offener Straße tödlich verletzt. Außerdem wird auf Facebook der Eindruck erweckt, das Gedenken der Hochdorfer am ersten Advent sei nicht pietätvoll gewesen. Dem widerspricht der Kirchheimer Andreas Kenner (SPD). „Würdevoll und schweigend wurde dem Opfer gedacht“, sagt der Landtagsabgeordnete. Er reagiere im Übrigen nicht auf Posts, in denen behauptet wird, er habe in Hochdorf lauthals gelacht, es habe fröhliche Gesänge gegeben oder es sei herumgefeixt worden. Nach acht Jahren im Landtag sei er die Wahrheitsverfälschungen der AfD gewohnt und gehe gelassen damit um.
Zum mutmaßlichen Täter hat Kenner eine klare Meinung: „So jemand gehört verurteilt und abgeschoben, er hat sein Gastrecht verwirkt.“ Für Kenners afghanische Nachbarn sei dieser Fall sehr schlimm. Die Töchter der Familie „getrauen sich nach so etwas nicht mehr in die Schule“.
Abschiebung von Straftäter gefordert
Kenner hätte es begrüßt, wenn sich die Hochdorfer früher zu dieser Gedenkveranstaltung getroffen hätten. Man dürfe nicht warten, bis die Extremen reagieren, sondern „wir müssen wieder die Agierenden werden.“ Er hätte es gut gefunden, wenn CDU und Freie Wähler bei der Versammlung gesprochen hätten, denn die Angriffe von Rechts „gehen gegen alle. Diese Debatte müssen auch die Konservativen führen.“
Dazu heißt es in einer Stellungnahme von CDU-Ortsverband und CDU-Gemeinderatsfraktion: „Vor dem Hintergrund der Gefahr einer Instrumentalisierung, die durch die Ankündigung der AfD-Versammlung absehbar war, haben wir – auch in Kenntnis des Wunsches der Angehörigen – bewusst auf eine formale Teilnahme verzichtet. Gerne hätten wir uns, wie sicherlich eine weit größere Anzahl an Vereinen und Organisationen des Ortes, an einer durch die Gemeindeverwaltung oder dem Gemeinderat organisierten Trauerbekundung und Verurteilung der Tat beteiligt“, so Andreas Bruntner vom Ortsverband und Fraktionssprecher Markus Krämer. Und sie ergänzen: „Im Nachgang betrachtet sehen wir es für zukünftige Fälle, die hoffentlich nicht mehr eintreten werden, als notwendig an, umgehend dafür zu sorgen, einen geordneten Rahmen ohne Populismus und Instrumentalisierung zu schaffen.“ Für die Fraktion Die Mitte erklärt Gemeinderat Thomas Zinßer: „Die Veranstaltung von Hochdorfern war ein guter Schritt. Deshalb haben auch wir als Hochdorfer Bürger teilgenommen und unser Mitgefühl und unsere Solidarität gezeigt.“ Nun solle man Polizei und Justiz ihre Arbeit machen lassen und sich nicht in Vermutungen ergehen. Wichtig sei, gemäßigt zu reagieren.
Die Freien Wähler Hochdorf dagegen wollen sich nicht äußern. „Ich gebe keine Stellungnahme ab“, sagt Hartmut Olschewski, Sprecher der Freien Wähler im Gemeinderat, der größten Fraktion im Gremium. Auch Bürgermeister Gerhard Kuttler engagiert sich bei den Freien Wählern, die er im Esslinger Kreistag vertritt. Er macht klar, alle Versammlungen seien rechtlich zulässig gewesen. Ihm sei wichtig gewesen, den Aktionen, die Gruppierungen von außen in Hochdorf angemeldet hatten, „die geringstmögliche Aufmerksamkeit zu schenken, aber deutlich zu machen“, dass man eine Instrumentalisierung des Opfers ablehne. Es habe zuvor Trauerbekundungen seitens der Gemeinde gegeben, die auch medial verbreitet wurden. Sein Ziel seien Respekt und maximaler Schutz der Betroffenen. Eine Kontaktaufnahme mit den Hinterbliebenen verböten Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Alles andere „wäre übergriffig gegenüber Opfer und Angehörigen gewesen“, so Kuttler. Man könne darüber diskutieren, ob nicht doch über Worte hinaus eine kleine stille Aktivität der Gemeinde möglich gewesen wäre. „Die von außen organisierten Versammlungen hätten wir damit aber ganz sicher nicht verhindert. Deren Initiatoren haben Bundes- und Landespolitik kritisiert und verfolgen andere politische Ziele.“
Trauer und Gedenken können viele Facetten aufweisen
Trauer
Nach der Gewalttat und viele Tage vor der so genannten AfD-Mahnwache waren Blumen, Kranz und Kerzen am Tatort abgelegt worden. In zwei Gottesdiensten hat der evangelische Geistliche Gerald Holzer dem Hochdorfer Gewaltopfer gedacht und am Totensonntag eine Kerze für den 56-Jährigen entzündet. „Wir haben uns nicht rausgehalten, aber wir sind für die stillen Töne zuständig“, erklärt Holzer und betont, mit Rücksicht auf die Hinterbliebenen wolle er möglichst behutsam mit dem Thema umgehen.
Versammlung
Für den ersten Advent hatte der AfD-Ortsverband Kirchheim eine Mahnwache am Tatort angemeldet. Auch hatte sich die Antifa-Gruppe OST Filstal angekündigt. Daraufhin organisierte ein lokales Bündnis aus Vereinen wie TV Hochdorf, Landleben, CVJM sowie SPD und Grüne zeitgleich eine Veranstaltung, bei der dem Hochdorfer Opfer gedacht sowie Gewalt und Hass eine Absage erteilt wurde.