Nach einer Reise durch fast ganz Deutschland: Auf dem Goldboden bei Hohengehren wurde ein Ersatzflügel für ein lädiertes Windrad angeliefert.
BaltmannsweilerJetzt kommt er gleich.“ Dem kleinen Martin geht es wie etlichen Schaulustigen, die gespannt an der Goldboden-Kreuzung zwischen Hohengehren und Engelberg ausharren. Dann lugt der Koloss schon aus der Waldschneise hervor, Stück für Stück, fast in Zeitlupe, bis man den 64-Meter-Riesen in voller Größe erkennt. Ein neues Rotorblatt ist im Anmarsch. Es soll am mittleren der drei Windkraftanlagen angebracht werden, weil das alte Risse hat. Eine gute Woche hat es gedauert, bis das aus Glasfasern gefertigte Ungetüm von Rostock hierher gekarrt wurde – mit zahllosen Hindernissen, die sich dem Schwertransporter in den Weg gestellt haben.
Eine kritische Stelle musste eine Stunde zuvor in der Ortsdurchfahrt von Schlichten genommen werden. Doch ein echtes Problem stellte dieser Engpass zwischen zwei Häusern für Carsten Langenstroer und seine Leute nicht dar. Genauso wenig wie zwei Kreisverkehre in Schorndorf oder die Schurwald-Aufstiegsstraße. Die Männer von Wörmann, einer aus Schloss Holte-Stukenbrok bei Paderborn ansässigen Firma für Verkehrstechnik, haben schon ganz andere Probleme gelöst. „Manchmal müssen wir ganze Kreisverkehre dem Erdboden gleich machen“, berichtet Langenstroers Kollege Markus Kläsener. Bei diesem Auftrag ist es meist mit dem Ab- und dem Wieder-Anmontieren von Straßenschildern getan. An manchen Stellen müssen 860 Kilogramm schwere Stahlplatten ausgelegt werden. Bei Unebenheiten sollen sie gewährleisten, dass das Transportfahrzeug nicht ins Straucheln kommt. So wie kurz vor dem Ziel, an der Einfahrt in den Betriebsweg, der zu den Windrädern führt.
Noch einmal ist von den beiden Lenkern des sogenannten Selbstfahrers höchste Konzentration verlangt. Gemeinsam steuern sie das Fahrzeug um die Kurve, der eine mit Kommandos, der andere mit einer Fernbedienung. Fragen des Reporters können sie nicht beantworten. „Geht nicht“, wehrt der Cheflenker alles ab, auch die Frage nach ihren Namen. Seine Kunst besteht darin, nicht nur die acht Achsen des Riesengefährts zu steuern, sondern gleichzeitig darauf zu achten, dass der Flügel-Koloss nirgends anstößt. Das gelingt, weil sich das Rotorblatt per Hydraulik aus der Waagrechten relativ schnell in die Senkrechte bringen lässt.
Gegen 13.30 Uhr ist es geschafft. Nach seiner langen Reise von der Ostsee in den Südwesten liegt der Koloss erst einmal am Fuße des Windrads. Ende Juli soll der Flügel montiert werden, erklärt Dagmar Jordan, die Sprecherin des Energiekonzerns EnBW, der die drei Windräder auf dem Schurwald-Rücken betreibt. Keine große Sache: Das Rotorblatt werde mit einem Kran waagrecht hochgezogen und dann an der Nabe verschraubt, so Jordan. Dass so ein Windradflügel mal ausgetauscht werden muss, passiert nach ihren Aussagen eher selten. Bei 20 Jahren Laufzeit, die für so eine Anlage kalkuliert werden, gebe vielleicht mal ein Getriebe seinen Geist auf. Dass dieses zentrale Bauteil nach nicht einmal zwei Jahren schon defekt ist, liegt an einem Unfall. Beim Transport war es im Sommer 2017 zu einem Unfall gekommen. Ein Lkw touchierte das Rotorblatt, was zu Rissen auf der Glasfaser-Fläche führte. Zunächst versuchte man es mit einer Reparatur. Dafür stand das Windrad Anfang des Jahres für einige Zeit still. Doch brachte die Aktion nicht den gewünschten Erfolg. Der Betreiber und die Herstellerfirma, die Nordex SE, entschieden, das lädierte Rotorblatt gegen ein neues auszutauschen.
Bei der EnBW ist man froh, dass die spektakuläre Transportaktion gut über die Bühne gegangen ist. „Alles hat gut geklappt“, sagt Konzern-Sprecherin Jordan. Das mittlere Windrad wird sich erst einmal weiter drehen, nur die kunstvolle Beleuchtung wird es dort nicht mehr geben. Wie berichtet lässt die Künstlerin Gisela Meyer-Hahn die Windräder während der Remstal-Gartenschau in bunten Farben erstrahlen. Die Aktion wird in den nächsten Wochen fortgesetzt, allerdings nur an den beiden äußeren Windrädern.
Richtig angeschaut habe er sich die Kunstaktion noch nicht, sagt ein Mann aus Baltmannsweiler, der den Schwertransport aufmerksam verfolgt. Wie viele andere hat er seinen Frieden mit den anfangs sehr umstrittenen Windrädern gemacht. Das gilt auch für Otto Bäßler, einen Forstunternehmer aus dem nahen Manolzweiler. Er stört sich nicht am Anblick der Anlagen. Kritikern nimmt er gerne mit einem altbekannten Argument den Wind aus den Segeln: „Wer gegen die Atomkraft ist, darf sich nicht gegen alternative Energieträger sträuben.“