Auf dem Polizeirevier in der Calle de Pau Claris in Barcelona herrscht in diesen Sommerwochen Hochbetrieb. Dort können Touristen Taschendiebstähle anzeigen.
Der junge Mann aus Österreich ist den Tränen nahe. Er habe aufgepasst, sei weder betrunken noch leichtsinnig gewesen – und doch fehlt nun seine Halskette. Ein Familienerbstück seiner Großeltern, gestohlen während einer durchtanzten Nacht in einem Club in der Innenstadt von Barcelona. Am Boden zerstört steht er nun mit etwas verquollenen Augen in der Calle de Pau Claris 158, jenem Polizeirevier, in dem bestohlene Touristen einen Diebstahl anzeigen können.
Es ist ein schmuckloser Ort und ein Hort der Verzweiflung. Während der Antrag des jungen Partygängers bearbeitet wird, macht der sich Vorwürfe, denn kurz vor der Abreise habe er daran gedacht, die Kette zuhause zu lassen, weil sein Herz an ihm hängt. Dann legte er sich das Erbstück doch um den Hals – es war die falsche Entscheidung.
Schätzungen gehen von rund 6000 Delikten pro Tag aus
Im Minutentakt drückt der Beamte der „mossos d’esquadra policia“ auf den Knopf des Türöffners. Barcelona mit seinen fast zwei Millionen Einwohnern zählt in Europa zu den Hauptstädten der Taschendiebe. Ein amerikanischer Tourist erklärt zum wiederholten Mal, wie ihm seine teure Armbanduhr gestohlen wurde. Eine wildfremde Frau habe ihn auf der Straße umarmt und sich untergehakt, zack, war der wertvolle Chronometer verschwunden. Er habe die Diebin und ihren Komplizen verfolgt, beim anschließenden Handgemenge habe er dem Flüchtenden wohl die Nase gebrochen, viel Blut sei geflossen, doch dann war das Paar plötzlich in einer Bar verschwunden.
Geduldig notiert der Beamte hinter der Glasscheibe alles fein säuberlich, macht aber keine Hoffnung, dass die Uhr wieder gefunden wird. Zu hoch sei die Zahl der angezeigten Diebstähle, zu gering die Zahl der ermittelnden Polizisten. Schätzungen gehen von rund 6000 Delikten pro Tag in Barcelona aus. Hotspots sind die Touristenmeile La Rambla und ausgerechnet eine Kirche: die Sagrada Familia. Nur am Trevi-Brunnen in Rom und auf dem Eiffelturm in Paris sind mehr Diebe im dichten Gedränge unterwegs.
Diebe werden immer dreister
„Es wird immer schlimmer“, klagt die Verkäuferin in einem Lederwarengeschäft in der Altstadt von Barcelona. „Erst gestern war zwei Mal die Polizei wegen Diebstählen in unserer kleinen Gasse.“ Einmal habe sogar ein Mann direkt vor ihrer Tür versucht, einem kleinen Mädchen den Kinderrucksack vom Rücken zu reißen. „Was sind das für Menschen?“ fragt die junge Frau.
Die Diebe gingen tatsächlich immer dreister vor, bestätigt ein Beamter auf der Polizeiwache in der Calle de Pau Claris. Es gebe natürlich Verhaltensregeln, an die sich die Touristen halten sollten. Aber man könne doch auch nicht den ganzen Tag zu hundert Prozent wachsam durch die Gegend laufen – was wäre das für ein Urlaub?
Verstörte, aufgewühlte und traurige Touristen
Dann drückt der Beamte erneut auf den Türöffner und herein kommt eine Frau. Noch sichtlich verstört erzählt sie, dass ihr in der Metro der Geldbeutel gestohlen worden sei. Auch sie versichert, extra vorsichtig gewesen zu sein. Die Bankkarten habe sie bereits gesperrt, doch nun brauche sie ein offizielles Formular, damit sie die Fluggesellschaft auch ohne Ausweis für die Heimreise in den Flieger steigen lasse. Einen Schalter weiter erzählt ein Japaner aufgeregt von seiner gestohlenen Kamera und in der Schlange wartet eine Reiseführerin, die den Verlust einer Tasche aus ihrer Gruppe anzeigen will.
Auf einem der unbequemen Plastikstühle sitzt in einer Ecke ein junger Franzose und starrt ins Leere. Ihm wurde bei der Ankunft am frühen Morgen in Barcelona sein Rucksack geklaut. Nun hänge er ohne Geld, Ausweis und Handy in der Stadt fest. Er müsse das jetzt alles erst einmal verdauen, sagt er, und versenkt sich wieder in seinen Gram.