Tadej Pogacar (vorne) und Jonas Vingegaard sind um einiges jünger als der Durchschnitt aller Tour-Sieger. Foto: imago//Nico Vereecken

Die Stars der Frankreich-Rundfahrt werden immer jünger. Woran liegt das?

Einen Platz im Geschichtsbuch des Radsports hat Tadej Pogacar längst sicher. 2020 gewann er, einen Tag vor seinem 22. Geburtstag, als bis dahin jüngster Profi die Tour de France. Logisch, dass er ein Jahr später, nach seinem nächsten Triumph, auch der jüngste Doppelsieger war. Derzeit macht er in den Pyrenäen Jagd auf das Triple, allerdings sieht es so aus, als stünde ihm Jonas Vingegaard im Weg. Doch egal, ob am Sonntag Vingegaard (25) oder Pogacar (23) in Paris aufs oberste Podest klettert, fest steht schon jetzt: Die beiden Superstars des Radsports sind im Vergleich zu vielen ihrer Vorgänger ziemlich jung. Was ihre Show aber nicht weniger sehenswert macht.

Auch am Mittwoch in den Pyrenäen zeigte das Duo seine Überlegenheit. Schon am vorletzten Berg, dem Col de Val Louron-Azet, waren die zwei fast unter sich, nur Pogacar-Helfer Brandon McNulty (24) befand sich bei ihnen. Daran änderte sich bis kurz vor dem Ziel in Peyragudes nichts. Dort sicherte sich der Slowene in einem faszinierenden Sprint an der 16 Prozent steilen Schlussrampe den Sieg, Vingegaard liegt in der Gesamtwertung aber noch 2:18 Minuten vor ihm. An diesem Donnerstag steht die letzte Bergetappe an.

Diesmal sorgt ein Duo für die Musik bei der Tour, in den vergangenen drei Jahrzehnten war ein Trio tonangebend. Miguel Indurain (Gewinner 1991 bis 1995) war bei seinem ersten Erfolg 27 Jahre alt, Lance Armstrong (1999 bis 2005/alle Siege wegen Dopings gestrichen) feierte wie Chris Froome (2013, 2015 bis 2017) mit 28 Jahren in Paris seine Premiere auf dem Podium. Das Durchschnittsalter aller Tour-Sieger liegt bei 28,5 Jahren – passend zur Erkenntnis von Sportwissenschaftlern, dass ein Radprofi seine maximale Leistungsfähigkeit zwischen 27 und 30 Jahren erreicht. Dann sind die körperlichen Voraussetzungen (etwa die Sauerstoffaufnahme) am besten, Erfahrung ist vorhanden, mentale Reife ebenso. Und jetzt? Verschiebt eine Generation die Grenzen.

Der „neue Pogacar“ ist erst 19

Denn neben Pogacar und Vingegaard gibt es weitere große Versprechen für die Zukunft, die schon die Gegenwart mitgestalten: Egan Bernal (25/Kolumbien), der bei seinem Tour-Sieg 2019 erst 22 Jahre alt war. Mountainbike-Olympiasieger Thomas Pidcock (22/Großbritannien), der auch wegen atemberaubender Abfahrten die Etappe nach L’Alpe d’Huez gewann. David Gaudu (25/Frankreich), der Fünfte der Gesamtwertung, von dem die Franzosen hoffen, dass er die 37-jährige Durststrecke seit dem letzten Sieg von Bernard Hinault beendet. Remco Evenepoel (22/Belgien), der zwar nicht bei der Tour ist, über den Kollege Mikel Landa aber vor einem Jahr sagte: „Wir müssen jetzt noch so viele Rennen wie möglich gewinnen, denn schon bald wird er unschlagbar sein.“ Und dann gibt es ja noch Supertalent Juan Ayuso (19/Spanien), bei dem vielen im UAE-Team sofort ein Vergleich einfällt: „Er wird der neue Pogacar.“

Das sind nur die prominentesten Vertreter jener Generation, die mal eben die U-23-Klasse übersprungen hat. Doch es gibt viele weitere sehr junge Fahrer in den World-Tour-Teams. Der deutsche Rennstall Bora-hansgrohe holte im Winter Cian Uijtdebroeks (19/Belgien), den zuvor das halbe Peloton gejagt hatte. „Es kommen mehr und mehr junge Athleten mit sehr hoher Leistungsfähigkeit in den Profibereich“, sagt Bora-Cheftrainer Dan Lorang – wofür es Gründe gebe.

Unklar ist, welche Rolle verbotene Substanzen bei dieser Entwicklung spielen: Den letzten Dopingfall bei der Tour gab es vor sieben Jahren, was wenig über das tatsächliche Ausmaß des Betrugs aussagt. Lorang sucht Erklärungen indes in seinem Metier. „Junge Talente werden viel früher mit den Erkenntnissen der Trainingswissenschaft konfrontiert. Jeder Coach findet alles, was er wissen muss, im Internet“, sagt er, „heute wird bereits im Jugendalter viel fundierter trainiert.“ Und dann gebe es auch noch eine Sogwirkung: „Wenn es bei einem 19-Jährigen funktioniert, wird das zum Selbstläufer.“

Besser ausgebildet

Dazu kommt ein neues Selbstbewusstsein. „Die jungen Fahrer treten anders auf“, sagt Dave Brailsford, Chef des Ineos-Teams, „sie sind besser ausgebildet als Gleichaltrige vor zehn Jahren – und sie wollen sofort gewinnen.“ Ähnliche Erfahrungen hat Lorang gemacht: „Früher haben sich Neuprofis erst mal hinten angestellt, die Arbeit erledigt. Jetzt kommen sie und sagen, dass sie auch können, was der Kapitän kann. Da muss man als Team aufpassen – denn die Persönlichkeitsbildung benötigt länger als die körperliche Entwicklung.“ Diese Erfahrung hat auch Alexander Krieger gemacht.

Der Profi aus Vaihingen/Enz nennt sich selbst einen Spätentwickler, mit 30 Jahren fährt er seine erste Tour. „Der Jugendwahn im Radsport ist schlimm“, sagt er, „jedes Team hat Angst, das nächste Supertalent zu verpassen. Auf der anderen Seite trainieren bereits 15-Jährige wie Profis. Ich befürchte, dass da viele Talente verheizt werden.“ Und zudem von ihren Managern ein schräges Bild vermittelt bekommen. „Wer so jung Radprofi wird, der weiß doch gar nicht, wie das wirkliche Leben funktioniert“, meint Krieger. „Ich kann mir vorstellen, dass es für den einen oder anderen schwierig wird, nach der Karriere im normalen Leben Fuß zu fassen.“

Ob es tatsächlich so kommt? Die Antwort gibt es in zehn Jahren. Frühestens.