In Anderlecht wird bei einer Schießerei schon wieder ein Mann getötet. Vermutet wird eine Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Drogenclans. Foto: AFP/HATIM KAGHAT

In der belgischen Hauptstadt kommt es immer wieder zu blutigen Schießereien mit Toten. Die Täter gehen immer brutaler vor, die neue Regierung verspricht eine härtere Gangart.

In Brüssel tobt ein Drogenkrieg. Zum fünften Mal innerhalb weniger Tage lieferten sich offensichtlich die Mitglieder von rivalisierenden Clans tödliche Schießereien auf offener Straße. In dem von Drogenkriminalität geplagten Stadtteil Anderlecht wurde am Wochenende nun erneut ein Mann erschossen.

Die Polizei hält sich mit Schuldzuweisungen zurück, doch der Bürgermeister von Anderlecht, Fabrice Cumps, verortet die Bluttat eindeutig im Drogenmilieu. Beim Besuch vor Ort an der U-Bahn-Station Clemenceau empörte er sich, die Schießerei „ereignete sich trotz der verstärkten Präsenz unserer Polizeikräfte, die 70 Meter entfernt im Einsatz waren. Das ist ein Zeichen dafür, dass diese Bastarde vor nichts zurückschrecken.“ Im Rundfunksender RTBF sprach Cumps von einem ausufernden „Krieg zwischen Gangs“, die ihre Reviere verteidigen wollten. Vier der fünf nächtlichen Schießereien ereigneten sich in dem Viertel unweit des Brüsseler Südbahnhofs, wo die internationalen Eurostar-Züge abfahren.

Die Regierung kündigt eine härtere Gangart an

Belgiens neuer Innenminister Bernard Quintin betonte, dass die Sicherheitsmaßnahmen nach den letzten Bluttaten in Anderlecht bereits deutlich verstärkt worden seien. Dann ergänzte er: „Wir müssen jetzt neue strenge Maßnahmen ergreifen.“ Die Vorfälle in Brüssel setzen die neue belgische Regierung unter dem flämischen Rechtsnationalisten und früheren Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever unter Handlungsdruck. Sie hatte eine „Null-Toleranz-Politik“ gegen Drogenbanden versprochen.

Nach Angaben der Brüsseler Polizei gab es allein in der belgischen Hauptstadt im vergangenen Jahr 92 Schießereien, bei denen neun Menschen getötet und 48 weitere verletzt wurden. Doch das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges. Die Experten der Polizei sind überzeugt, dass die Dunkelziffer der Gewalttaten in dem äußerst verschlossenen Milieu wesentlich höher liegt. In der Regel würden die Opfer keine Anzeige erstatten oder die Verletzungen von den Krankenhäusern nicht gemeldet.

Antwerpen als Hochburg des Kokainschmuggels

In Brüssel ist die Brutalität dieser Bandenkriege neu. Bisher galt in Belgien vor allem Antwerpen als Hochburg der Drogenkriminalität. Die knapp über eine halbe Million Einwohner zählende Hafenstadt an der Nordsee ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für Drogen in Europa geworden. Einfallstor ist der riesige Containerhafen an der Schelde. Dort wurde 2023 die Rekordmenge von 116 Tonnen sichergestellt. Allerdings sank diese Menge im Jahr 2024 auf 44 Tonnen. Es sei „das erste Mal seit 2013“, dass die beschlagnahmte Menge an Kokain gesunken sei, sagt der Chef der belgischen Zollbehörde, Kristian Vanderwaeren. Als Grund nennt er die drastisch verschärften Kontrollen. Doch geben sich die Verantwortlichen keinen Illusionen hin, denn die Schmuggler würden einfach auf andere Routen ausweichen.

Die Schmuggler werden immer gewalttätiger

In Antwerpen wurde zum Problem, dass die Schmugglerbanden immer gewalttätiger werden und ihre blutigen Fehden längst nicht mehr nur im Verborgenen austragen. Neu ist, dass diese Gewalt offensichtlich nach Brüssel überschwappt. Als Grund nennt die Polizei, dass der Kampf um die „Territorien“ schärfer geworden sei. In der belgischen Hauptstadt hätten inzwischen albanische Clans die Führung übernommen, für die die Stadt eine Art logistischer Knotenpunkt geworden sei. Die importierten Drogen würden von dort nach Südosteuropa weitertransportiert. Gleichzeitig würden Clans aus der Drogenszene in Marseille versuchen, in Brüssel Fuß zu fassen, was die eskalierende Gewalt erklären würde.

Die Gerichte sind mit dem Problem überfordert

Der belgischen Justiz kann im Kampf gegen die Drogenclans kaum Untätigkeit vorgeworfen werden. In Brüssel läuft der größte Strafprozess der Geschichte des Landes. Auf der Anklagebank sitzen 125 Männer und Frauen mit Verbindungen zum Drogenhandel. Der Prozess bietet einen erschreckend tiefen Einblick ins Geschäft. Denn die Beschuldigten kommen nicht nur aus aller Herren Länder, verantworten müssen sich auch ein ehemaliger Fußballprofi, ein Anwalt und ein Polizist. Jüngst wurden bei einer groß angelegten Razzia in Brüssel erneut zwei Polizeibeamte festgenommen, die mit dem Drogenclans kooperiert haben sollen.