In Izmir versuchen Rettungskräfte und Anwohner, verschüttete Menschen aus einem eingestürzten Gebäude zu retten. Foto: dpa/Ismail Gokmen

30 Sekunden soll die Erde gebebt haben, Staub stieg auf, das Meer trat in Form eines Tsunamis über die Ufer: Bei einem Erdbeben in der östlichen Ägäis stürzen Gebäude ein, es gibt Tote und Verletzte – und auch erste Nachbeben.

Vathy/Izmir - Ein schweres Erdbeben hat am Freitagnachmittag die türkische Westküste und die griechischen Inseln der östlichen Ägäis erschüttert. Besonders betroffen sind die türkische Millionenstadt Izmir und die griechische Insel Samos. Fachleute warnen vor drohenden schweren Nachbeben. Die EU hat sofortige Hilfe angekündigt. „Ich bin in Gedanken bei allen, die betroffen sind“, schrieb EU-Ratschef Charles Michel am Freitag auf Twitter.

Es war ein milder Freitag im Herbst. Bei spätsommerlichen Temperaturen von 23 Grad flanierten viele Menschen an der Uferpromenade der westtürkischen Küstenstadt Kusadasi. Auch auf der gegenüberliegenden griechischen Insel Samos waren die Straßencafés und Restaurants am Hafen von Vathy gut besucht. Aber um 13.51 Uhr war es vorbei mit der Idylle. Ein dumpfes Grollen aus der Tiefe schreckte die Menschen auf, Sekundenbruchteile später brach das Beben los. Fast eine halbe Minute lang rütteln die Schockwellen alles durch. Risse im Asphalt tun sich auf, Mauern stürzen ein. „Man konnte sich kaum auf den Beinen halten“, berichtet Angelos Maniatis, der am Hafen von Vathy ein kleines Geschäft betreibt. „Es waren die längsten Sekunden meines Lebens - eine furchterregende Ewigkeit.“

Seismologen beziffern die Stärke auf 6,6 Grad auf der Richterskala

Das Epizentrum des Bebens lag 19 Kilometer nordwestlich von Samos, der Bebenherd befand sich in nur zehn Kilometer Tiefe unter dem Meeresboden. Die geringe Tiefe erklärt die Heftigkeit des Bebens. Türkische Seismologen bezifferten die Stärke auf 6,6 Grad auf der Richterskala, griechische Wissenschaftler nannten 6,7 Grad. Über die Zahl der Opfer gab es zunächst keine gesicherten Erkenntnisse. Türkische Medien berichteten zunächst von vier Toten und 120 Verletzten. Aber die Zahlen dürften steigen, je weiter die Rettungs- und Bergungsarbeiten vorangehen.

In Izmir, mit 4,3 Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt der Türkei, richtete das Beben die größten Schäden an. Erste Fernsehbilder zeigten mehrere große Staubwolken über der Stadt. Nach Angaben des türkischen Innenministers Süleyman Soylu stürzten in den Stadtteilen Bornova und Bayrakli sechs mehrstöckige Wohnhäuser ein. Izmirs Bürgermeister Tunc Soyer sprach von 20 eingestürzten Gebäuden. Zahlreiche Bewohner seien unter den Trümmern eingeschlossen, meldete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Der Einsatz der Rettungsmannschaften verzögerte sich offenbar. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Anwohner mit bloßen Händen die Trümmer der eingestürzten Gebäude wegzuräumen versuchten, um Eingeschlossene zu befreien. Telefonverbindungen und die Wasserversorgung waren in vielen Stadtteilen unterbrochen. Auch in den westtürkischen Provinzen Usak, Denizli, Manisa, Balikesir, Aydin und Mugla richtete das Beben Schäden an.

Zur betroffenen Region gehören auch mehrere Urlaubsgebiete

Zur betroffenen Region gehören auch mehrere Urlaubsgebiete an der türkischen Ägäisküste wie Kusadasi, Bodrum und Marmaris. Dort war das Beben ebenfalls heftig zu spüren. Wie groß die Zerstörungen in diesen Ferienorten sind und ob Touristen zu Schaden kamen, war zunächst unklar. Auch in der westtürkischen Millionenstadt Istanbul waren die Schockwellen des Bebens deutlich zu spüren. Viele Menschen liefen in Panik auf die Straßen.

Auf Samos richtete das Beben schwere Schäden an zahlreichen älteren Gebäuden an. Mehrere Häuser stürzten ein. Nach ersten Berichten gab es mindestens acht Verletzte. Von „chaotischen Szenen“ berichtete der Vizebürgermeister der Insel, Giorgos Dionysou: „Die Menschen liefen nach dem Beben in Panik auf die Straßen.“

Befürchtet werden schwere Nachbeben

Akis Tselentis, Professor für Geophysik an der Universität Athen und Direktor des griechischen Instituts für Geodynamik, rief die Bevölkerung zur Vorsicht auf. Weil sich das Beben in einer sehr geringen Tiefe ereignete, sei „über Wochen, vielleicht Monate mit starken Nachbeben zu rechnen“, die bereits jetzt beschädigte Gebäude vollends zum Einsturz bringen könnten.

Aus Athen flog der Vizeminister für Katastrophenmanagement, Nikos Chardalias nach Samos, um die Rettungseinsätze zu koordinieren. Transportflugzeuge des griechischen Militärs brachten Rettungsteams auf die Insel. Fachleute sollen in den nächsten Tagen die beschädigten Gebäude daraufhin prüfen, ob sie noch bewohnbar sind oder abgerissen werden müssen. Sogar im 300 Kilometer westlich gelegenen Athen waren die Schockwellen deutlich zu spüren.