Trichterwolke über Backnang: Eine heftige Gewitterzelle ist am Wochenende über den Rems-Murr-Kreis aufgezogen. Foto: /Jasmin Schmied

Am Wochenende ist eine Trichterwolke über den Rems-Murr-Kreis hinweggezogen. Solche Wetterphänomene sind kaum vorhersehbar – und können sich im schlimmsten Fall in Tornados verwandeln.

Dunkle Gewitterwolken drehen sich zu einer Schneckenform zusammen. Aus dem schwarzen Wolkenmeer ragt ein weißer Trichter hervor und wirbelt über Wälder, Wiesen und Städte hinweg. Es sind unheimliche Bilder, die Anwohnerinnen und Anwohner im Rems-Murr-Kreis am Samstag geknipst haben. Die Fotos zeigen ein seltenes Wetterphänomen am Abendhimmel: Eine so genannte Funnelcloud (auf deutsch: Trichterwolke) hatte sich bei einem heftigen Gewitter gebildet.

Augenzeugen posteten am Wochenende zahlreiche Fotos von dem Wetterphänomen bei Instagram, Facebook und Twitter. Videos beim Videoportal TikTok zeigen, wie sich die Trichterwolke ihren Weg in Richtung Boden bahnt. Die Aufnahmen stammen unter anderem von Bürgerinnen und Bürgern aus Alfdorf, Althütte, Backnang, Schorndorf und Winnenden.

Das Schauspiel hatte sich am Samstag gegen 19 Uhr ereignet. Neben bewundernden „Wow“-Kommentaren tauchen viele Beiträge von verunsicherten Nutzerinnen und Nutzern auf, die über die Auswirkungen des Klimawandels diskutieren. Auf einer Tornadoliste im Internet ist vom Verdacht auf eine Windhose die Rede.

Thomas Schuster vom Deutschen Wetterdienst (DWD) bestätigt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass sich am Samstagabend über Backnang ein starkes Gewitter gebildet hatte. „Das war eine kräftige Zelle“, sagt der Meteorologe. Der Wolkenwirbel blieb allerdings ohne Folgen. Erst wenn eine Trichterwolke den Boden erreiche, könne es zu schlimmen Schäden kommen, sagt Schuster. Dann spricht man auch von einem Tornado oder einer Windhose.

Soweit ist es am Samstag nicht gekommen. Laut Schuster lag die Wolkenuntergrenze bei rund 1,6 Kilometern, der Wolkenrüssel sei aber nur einige Hundert Meter lang gewesen. „Das hat nicht gereicht für einen Bodenkontakt“, so der Meteorologe. In diesem Fall wäre die Sache vermutlich anders ausgegangen.

„Beeindruckend, aber durchaus ernst zu nehmen“

Wenn die Wolkenuntergrenze bei etwa 700 Metern liege und sich von dort ein Trichter bis zum Boden erstrecke, „dann ist ein solcher Tornado eine große Gefahr“, sagt der Wetterexperte. Das Naturschauspiel sei beeindruckend, aber durchaus ernst zu nehmen. „Ein Tornado hat bei einem stärkeren Gewitter enormes Schadenspotenzial.“

Ein solches Szenario könnte im Sommer blühen. Die Energie des Gewitters über Backnang sei am Wochenende nicht hoch genug und der Durchmesser der Unwetterzelle mit sechs Kilometern zu gering für einen zerstörerischen Tornado gewesen. „Im Juli und August könnte es schlimmer werden“, sagt Schuster. Ein Sommergewitter könne sich durchaus über 20 Kilometer ausstrecken – und zerstörerische Tornados ausbilden.

Im Rems-Murr-Kreis hatte ein Tornado im Jahr 2010 schwere Schäden angerichtet. Der Wirbelsturm wütete mit mehr als 100 Stundenkilometer durch Gemeinden wie Leutenbach-Nellmersbach und Welzheim-Breitenfürst. Der Tornado entwurzelte Bäume, fegte das Wartehäuschen einer Bushaltestelle weg, zerstörte Oberleitungen und wirbelte einen Wohnwagen in die Luft. Damals entstand ein Gesamtschaden von mehr als 200.000 Euro. Im Jahr 2013 berichtete der damalige Schwabenpark-Chef Thomas Hudelmaier von einer Windhose, die Bäume in dem Freizeitpark entwurzelt hatte. Ein Kino wurde beschädigt und der Strom fiel kurzzeitig aus. Die Gäste des Freizeitparks mussten in Sicherheit gebracht werden.

Für Flugzeuge wird bereits eine Trichterwolke gefährlich

Ohne bleibende Schäden zu verursachen wehte im Jahr 2018 eine Trichterwolke mit dem Verdacht auf eine Windhose durch den Rems-Murr-Kreis. Wie beim Phänomen vom Wochenende handelte es sich aber nur um einen Tornado-Verdachtsfall. Bis dahin sprechen Meteorologen von Funnelclouds, also rotierenden Wolken, die auftreten, wenn unterschiedliche Windgeschwindigkeiten aus verschiedenen Richtungen aufeinandertreffen. Dieses Szenario wird auch Windscherung genannt.

Eine solche Scherung erzeugt bei Trichterwolken und Tornados den obligatorischen Wirbel. Durch Unterdruck wird schließlich der über große Entfernung hinweg sichtbare Schlauch aus den Wolken herausgesaugt, der aus kondensiertem Wasser besteht. Für Piloten und Passagiere wird so eine Wetterlage bereits ohne Bodenkontakt der Trichterwolke gefährlich. Wenn Flugzeuge solche Luftwirbel passieren, dann kommt es oft zu Turbulenzen.

Eine rechtzeitige Warnung vor solchen zerstörerischen Stürmen ist laut Wetterexperten unmöglich. „Tornados lassen sich mit den besten Modellen nicht voraussagen“, sagt Thomas Schuster vom DWD. Rotationen ließen sich zwar auf Radarbildern erkennen. Aber eine Windhose wie in Backnang sei dafür zu klein.