In Toni Kroos könnte die DFB-Elf ihren vielleicht besten Fußballer verlieren. Der Weltmeister von 2014 und Profi von Real Madrid sehnt sich nach mehr Privatleben.
München - An Hansi Flick wird es nicht liegen. Der künftige Bundestrainer, sagte Toni Kroos, sei „ein feiner Kerl“, man kenne und schätze sich „schon ewig“. Kroos will nach dem bitteren Achtelfinal-Aus bei der EM mit Flick „das Gespräch suchen“ über seine Zukunft. Doch wenn er danach seine Nationalmannschaftskarriere wirklich beenden sollte, dann wegen Leon, Amelie, Fin und Jessica.
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„Eigentlich hätte ich ja 2014 aufhören müssen“, sagte Kroos kürzlich - er habe seiner Frau immer gesagt: Wenn er Weltmeister sei, mache er Schluss. Auch 2018 habe er „überlegt“, ließ sich von Bundestrainer Joachim Löw aber noch mal umstimmen. Die Sehnsucht nach mehr Zeit mit seiner „Jessi“ und den drei Kindern ist seither noch größer geworden.
Kroos will sich „Gedanken machen, wie es sich anfühlt“. So hatte er es in der Turniervorbereitung angekündigt. Schon 2019 hatte er den EM-Abschluss einen „guten Zeitpunkt“ für einen möglichen Abschied vom DFB genannt - und da war die Endrunde noch für 2020 geplant.
An Kroos scheiden sich die Geister
Elf Jahre, 106 Länderspiele mit 17 Toren und dem Weltmeistertitel 2014 - war’s das? An Kroos scheiden sich von jeher die Geister: Für die einen ist er der eleganteste deutsche Kicker seit „Kaiser“ Franz Beckenbauer, für die anderen ein Schnösel und „Querpass-Toni“. Im Film „Kroos“ (2019) schwärmen Weltstars wie Robbie Williams von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten.
Doch sein Image als allzu kühles, ja arrogantes Nordlicht konnte er nie ganz ablegen. Weil er sich wehrte gegen die 82 Millionen Besserwisser auf der Couch, weil er Sätze sagte wie: „Ich zweifle nicht an mir selbst.“ Dabei beweist Kroos im Podcast „Einfach mal luppen“ mit Bruder Felix, dass er durchaus Selbstironie besitzt.
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Herausragende Spielintelligenz, eine Passquote nahe 100 Prozent, Kühle bis ans Herz auch in brenzliger Lage: Dass Kroos etwas Besonderes hat, hat er früh und oft gehört. Und so schien er bisweilen über den Dingen zu schweben. „Meine Spielweise hat sich nicht verändert – und ich werde das auch nicht tun“, sagte er vor der EM.
Warum auch? Sie hat ihn sehr weit gebracht. Vier Champions-League-Titel, fünfmal Klubweltmeister, Fußballer des Jahres 2018, Nationalspieler des Jahres 2014. Für Löw, der ihm zuletzt einige schöpferische Pause gegönnt hatte, war er auch im fortgeschrittenen Fußballeralter „Weltklasse“.
Seit 2010 bei jeder WM und EM dabei
Er habe das Vertrauen „immer mit Leistung untermauert“, sagte Kroos. Das stimmt, wenngleich mit ihm auch eine der dunkleren Stunden in der Ära Löw verbunden ist: Dass er den damaligen Münchner im EM-Halbfinale 2012 als Sonderbewacher für Andrea Pirlo abstellte, gilt als eine der größten Fehler in Löws 15-jähriger Amtszeit.
Seit seinem Debüt im März 2010 gegen Argentinien (0:1) nahm Kroos an allen drei Welt- und Europameisterschaften teil und bestritt dort insgesamt 28 Spiele (drei Tore). Sein größtes war zweifelsohne das Jahrhundertspiel im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien. Kroos erzielte beim legendären 7:1 zwei Tore binnen 69 Sekunden - der kürzeste zeitliche Abstand bei einem Doppelpack in der Geschichte des Weltturniers.
In der EM-Vorrunde spielte kein anderer Profi mehr Pässe ins Angriffsdrittel. Und doch gelang es ihm in ungewohnt defensiver Rolle nicht, dem deutschen Spiel seinen Stempel aufzudrücken.
Als Erbe steht Joshua Kimmich bereit. „Jo ist ein klasse Fußballer“, sagte Kroos. Darüber, dass der Münchner das Spiel aus der Zentrale lenken kann, „sind wir uns alle einig“. Leon, Amelie, Fin und Jessica dürften da nicht widersprechen.