Notfalls muss bei der Baumpflege auch mal etwas beherzter angepackt werden. Foto: gw/Gaby Weiß

Obstbäume wollen gepflegt werden. Doch das ist gar nicht so einfach. Es kommt auf eine freie Baumscheibe an, die richtige Düngung und eben den korrekten Schnitt. Der Obst- und Gartenbauverein Hegensberg-Liebersbronn zeigte, wo man die Schere ansetzen muss.

Juni-Riss, Saft-Waage, Blattmassen-Gesetz, Fruchtspieß und Oeschberg-Schnitt – nicht alle, die am Samstag den Vortrag zum Obstbaumschnitt beim Obst- und Gartenbauverein Hegensberg-Liebersbronn (OGV) besuchten, werden schon jetzt jeden dieser Fachbegriffe versiert erklären können. Aber alle gingen nach gut eineinhalb Stunden inspiriert und um jede Menge Wissen reicher nach Hause in ihre eigenen Gärten und Obstbaumwiesen. Gemeinsam mit unserer Zeitung hatte der OGV dazu eingeladen, die Grundlagen des fachgerechten Schnitts von Obstgehölzen kennenzulernen, sich über Details auszutauschen und sich verschiedene Techniken demonstrieren zu lassen. Das Interesse war groß.

Fachmann Harald Friedrich, Techniker im Garten- und Landschaftsbau, gestand zum Auftakt, dass er selbst erst während seiner Ausbildung zum Obstbaumwart erkannt hatte, wie viel man beim Schneiden von Obstbäumen falsch machen kann. Und was man im Gegenzug mit einem korrekten Schnitt alles erreichen kann: Wer in der so genannten „Erziehungsphase“ aktiv eingreift, kann einen wuchsfreudigen Baum mit tragfähigem Astgerüst heranbilden, der gut wachsen und lang leben kann. Wer sachgemäß schneidet, kann Einfluss darauf nehmen, dass Bäume gute, schmackhafte Erträge liefern. Wer nicht jede Blüte heranreifen lässt, kann größere Früchte ernten. Und wer Äste gezielt herausschneidet, damit mehr Licht und Luft in die Baumkrone gelangen, kann Pilzkrankheiten und Schädlingsbefall vorbeugen.

„Ein Jungbaum muss gepflegt werden“

Den richtigen Ast an der richtigen Stelle zu schneiden, erfordert Können und Erfahrung. Foto: Gaby Weiß

In seinen ersten zwölf Lebensjahren zählt ein Obstbaum zur Kategorie der Jungbäume. „Ein Jungbaum muss gepflegt werden, und zwar intensiv und regelmäßig. Er braucht eine freie Baumscheibe, er genießt eine Düngung. Er muss im Sommer gleichmäßig bewässert werden. Und er muss erzogen werden – durch den richtigen Schnitt“, betonte der Experte.

An einem acht Jahre alten Apfelbaum zeigte Harald Friedrich die Leitäste, die mit Hilfe von Stöcken, Bändern oder speziellen Spreizern behutsam in die richtige Richtung gelenkt werden. Dann arbeitete er sich – Leitast für Leitast, Fruchtholz für Fruchtholz, Ästchen für Ästchen – geduldig vor und demonstrierte den korrekten Schnitt. Als Letztes nahm er sich die Stammverlängerung vor und erinnerte noch einmal an die Schnittgesetze: „Ein starker Rückschnitt bedeutet immer einen starken, ein schwacher Rückschnitt einen schwachen Austrieb. Auch so können Sie Einfluss auf den Wuchs Ihres Baumes nehmen.“ Beeindruckt zeigten sich die Gäste, dass er bei diesem Baum bereits jetzt vorausschauend „Tritt-Äste“ anlegt, um in 15 Jahren im dann hochgewachsenen Baum für den Schnitt hinaufklettern zu können. Grundsätzlich lautet die Empfehlung beim Baumschnitt nach dem Winter, nie mehr als 30 Prozent herauszuschneiden. „Frisch geschnitten sieht solch ein Jungbaum anfangs immer ein bisschen aus wie ein gerupftes Huhn“, schmunzelte Harald Friedrich.

Tolle Tipps für Esslinger Hobbygärtner

Nachhilfe für Mutter Natur: Wenn einzelne Äste ungünstig wachsen, lässt sich manches noch korrigieren. Foto: Gaby Weiß

Die Teilnehmer erfuhren jede Menge Details. So zum Beispiel, dass sich auch im Winter der Unterschied zwischen einer Blatt- und einer Blütenknospe erkennen lässt: Erstere ist eher spitz, letztere eher rund in der Form. Sie erhielten Antworten auf ihre Fragen zum Weißanstrich von jungen Obstbaumstämmen, zum Wundverschluss bei Baumschnittwunden und zu den Vorzügen der präzise schneidenden Bypass-Scheren.

Dass das korrekte Schneiden von Obstgehölzen keine einfache Sache ist, war den meisten Anwesenden klar. Sogar Isabella Kurz aus dem Vorstand des Obst- und Gartenbauvereins gestand: „Das ist eine Wissenschaft für sich. Mein Mann und ich absolvieren deshalb jedes Jahr im Januar den vereinseigenen Schnittkurs und gehen erst danach zum Schneiden in unseren Garten. Dann hat man sein Wissen wieder aufgefrischt und man ist immer auf dem neuesten Stand.“ Auch Peter Widmann hat an dem Vormittag beim OGV viel Neues erfahren: „Wer wie ich Laie ist, profitiert ungemein davon. Ich kann einiges aus dem Kurs mitnehmen und ich will versuchen, das zuhause in meinem Garten umzusetzen.“

Gute Tipps erleichtern vieles

Als ihr Vater altershalber seinen Garten nicht mehr selbst bestellen konnte, wurde Andrea Brödner ins kalte Wasser geworfen: „Jetzt muss ich mir das irgendwie beibringen und aneignen, damit ich den Garten weiter pflegen kann. Das war heute sehr interessant und aufschlussreich. Ich habe mich immer gefürchtet, etwas falsch zu machen, jetzt fühle ich mich etwas sicherer.“ Und auch Rudi Bader, der als Bub schon Schnittkurse besucht hat, war voll des Lobes über den aufschlussreichen Vortrag von Harald Friedrich: „Das war sehr professionell und fachlich anspruchsvoll. Meiner Frau erzähle ich jetzt gleich, dass ältere Quittenbäume nur noch ganz selten geschnitten werden müssen: Eine Gartenaufgabe weniger.“

Der OGV Hegensberg-Liebersbronn im Kurzporträt

Chronik
 Der Obstbauverein wurde 1935 gegründet mit der Absicht, Erfahrungen auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Obstbauern waren damals angehalten, ihre Erträge zu steigern, um die Versorgung der städtischen Bevölkerung zu gewährleisten. Als ab Beginn der 50er-Jahre immer mehr Obst eingeführt wurde und die Erlöse zurückgingen, wurde häufig nur noch für den Eigenbedarf angebaut. In den 70er-Jahren wurde der Verein zum Obst- und Gartenbauverein erweitert.

Ziele
Dem Verein liegen der Obstbau, die Pflege der Streuobstwiesen und die Bewahrung der Kulturlandschaft am Herzen. Er sieht es als seine Aufgabe an, gartenbauliches Fachwissen zu bewahren und auszubauen. Der Vorstand organisiert regelmäßig Schnitt- und Veredelungskurse, Fachvorträge, Gartenbegehungen, Ausflüge und gesellige Aktivitäten. In diesem Jahr feiert der OGV mit seinen 200 Mitgliedern sein 90. Jubiläum.

Infos
 Nähere Informationen zum Obst- und Gartenbauverein Hegensberg-Liebersbronn gibt es unter www.ogv-hegensberg-liebersbronn.de