Seit Jahren protestieren Tierschützer gegen die „lebende Krippe“ des Weihnachtsmarktes – im Winter 2025 könnte Schluss damit sein: Eine Mehrheit des Gemeinderats spricht sich für ein Verbot des Tiergeheges aus.
Dennis Landgraf, der für die Tierschutzpartei neu im Stuttgarter Gemeinderat sitzt, hat in den vergangenen Wochen öfter drei Schafe, einen Esel und ein Lamm besucht, die als Teil einer „lebenden Krippe“ für Bethlehem-Idylle im Trubel des Weihnachtsmarktes sorgen sollen. Sein Eindruck: „Viele Besucherinnen und Besucher sehen das Gehege sehr kritisch.“ Eine Mutter habe zu ihrem Kind gesagt: „Schau mal, wie traurig der Esel schaut.“
Seit 1999 gehört die „lebende Krippe“ zum Stuttgarter Weihnachtsmarkt und wird vom ersten Jahr an bis heute vom Landesschafzuchtverband betreut. Dessen Geschäftsführerin ist die Besitzerin der Tiere. Seit vielen Jahren protestieren Tierschützer gegen die „Zurschaustellung von Tieren mitten in der Innenstadt“. Peter Höffken, der Fachreferent der Organisation Peta, sagt, „für sensible Tiere ist der Aufenthalt abseits von ihrem gewohnten Umfeld und von Artgenossen purer Stress“. Die Stadt und die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart halten dagegen, das Veterinäramt kontrolliere regelmäßig und habe bisher keine Beanstandungen gehabt.
„Eine lebende Krippe ist nicht mehr zeitgemäß“, heißt es bei der SPD
Nun scheint Bewegung in den Streit zu kommen. Auf Initiative von Dennis Landgraf spricht sich nun eine Gemeinderatsmehrheit aus SPD, Grüne, Die Linke, SÖS, Volt, der Pulsgruppe und der Tierschutzpartei in einem Antrag dafür aus, die „lebende Krippe“ abzuschaffen. Am 17. Januar soll der Ausschuss für Klima und Umwelt darüber beraten. Ziel ist es, wie schon beim Wildtier-Verbot im Zirkus, die Verwaltung aufzufordern, künftig keine öffentlichen Flächen mehr „zum Zweck der Unterhaltung mit lebenden Tieren zur Verfügung zu stellen“.
SPD-Stadträtin Sara Dahme findet, dass eine Krippe mit lebenden Tieren „nicht mehr zeitgemäß“ sei: „Unsere gesellschaftlichen Werte haben sich stark gewandelt, wir diskutieren nicht mehr nur über artgerechte Tierhaltung, sondern über wesensgerechten Umgang mit Tieren.“ Gerade deshalb brauche der Weihnachtsmarkt „keine Bespaßung durch lebende Tiere, um die Tradition der biblischen Weihnachtsgeschichte präsent zu halten“, sagt die SPD-Kommunalpolitikern. Vielmehr gehe es darum, Kindern „ethische und nachhaltige Werte zu vermitteln“, so Dahme.
Laut in.Stuttgart wird das Fütterungsverbot „Tag und Nacht überwacht“
Stefanie Hirrle, die Unternehmenssprecherin von in.Stuttgart, verweist darauf, dass der Verkaufsstand an der „lebenden Krippe“ hauptsächlich dazu diene, dass tagsüber pausenlos eine Bewachung vor Ort gewährleistet sei. „Die Nacht verbringen die Tiere im Stall, etwa von 20 Uhr an“, erklärt sie. Nachts sei die Security vor Ort, sodass niemand die Tiere füttern, in das Gehege eindringen oder den Tieren Leid zufügen könne. Die Tiere bekämen täglich frisches Heu und Kraftfutter von ihren Besitzern. Das Fütterungsverbot werde Tag und Nacht überwacht.
Das Tierschutzgesetz wird nach den Worten von Stefanie Hirrle „in allen Punkten und in allen Paragrafen eingehalten“. Es seien keine tierschutzrechtlichen Verstöße festgestellt worden, die ein Verbot rechtfertigen würde. „Die regelmäßigen Kontrollen ergeben jedes Jahr, dass die Tiere ein entspanntes Ruhe- und neugieriges Erkundungsverhalten zeigen“, versichert die Sprecherin von in.Stuttgart.
„Esel brauchen täglich 17 Kilometer Auslauf“, sagt Stadtrat Dennis Landgraf
Dennis Landgraf von der Tierschutzpartei sieht das völlig anders. Auch wenn verhindert werde, dass die Tiere etwa mit Pommes gefüttert werden, sei deren „psychische Situation“ sehr schlecht. Esel etwa seien soziale Wesen, die täglich einen Auslauf von 17 Kilometern bräuchten. Dies sei im Gehege unweit der Markthalle nicht möglich.
Peta-Referent Peter Höffken widerspricht der Behauptung von in.Stuttgart, es lägen keine Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vor. „Laut Gesetz müssen Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten und versorgt werden“, erklärt er, „auf einem Weihnachtsmarkt mitten in der Stadt ist dies nicht möglich.“ Für die vermeintliche Attraktion würden Tiere aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, von ihren Herden getrennt und mit artfremden Tieren in ein Gehege gesperrt. Hier könnten sie sich nur eingeschränkt bewegen und hätten keine Möglichkeit, einander aus dem Weg zu gehen.
Für Peta reichen „provisorische Hütten als Rückzugsort“ nicht aus
„Der ungewohnte Trubel durch Besuchermassen und der damit verbundene Lärmpegel sowie die verschiedenen Lichter“ seien für die Tiere gesundheitsgefährdend, sagt der Peta-Sprecher. „Aufgrund des empfindlichen Gehörsinns reichen provisorische Hütten nicht als Rückzugsort aus“, erklärt Peter Höffken.
Noch ist nicht entschieden, ob es beim Weihnachtsmarkt 2025 erneut eine „lebendige Krippe“ gibt. Um die Stände könne man sich bis zum 15. März bewerben, sagt Stefanie Hirrle für in.Stuttgart. Erst dann werde festgelegt, wer wieder dabei sein wird und wer nicht. Der Diskussion im Gemeinderat im Januar will sich die Veranstaltungsgesellschaft stellen und sei „offen“ dafür. Sollte sich die Mehrheit der Stadträte für ein Verbot des weihnachtlichen Tiergeheges aussprechen, werde man sich an dieses Votum halten.