Versonnen und immer für eine Überraschung gut: der Schriftsteller Thomas Hürlimann Foto: mago images/Lars Reimann

Mit beschrifteten Papierschwalben begann die intellektuelle Karriere des Schweizer Autors Thomas Hürlimanns. Sie trug ihn in die höchsten Regionen der Gegenwartsliteratur.

Stuttgart - Acht Jahre lang war der Schriftsteller Thomas Hürlimann Schüler im Kloster Einsiedeln, wo sein Vater schon die Schulbank gedrückt hatte. Doch irgendwas ist bei dem Sohn anders gelaufen. Mit anderen Zöglingen gründete er einen „Atheistenklub“ im Kloster. Während des Sonntagsgottesdienstes ließen die jungen Aufrührer aus der Kuppel Papierflieger mit anstößigen Sprüchen auf die Köpfe der Gläubigen hinabsegeln. Auf Hürlimanns Flieger stand der Nietzsche-Satz: „Religion ist der Wille zum Winterschlaf“.

Die eigene Sicht aufs Religiöse behält der 1950 in Zug geborene Sohn des ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten Hans Hürlimann. Sein vielleicht bekanntestes Werk, die Novelle „Fräulein Stark“, erzählt von einem Ministranten, der einen Sommer lang den Besucherinnen der Stiftsbibliothek Filzpantoffeln zuteilt und dabei manchen überraschenden Einblick gewinnt.

Ideenwarte zwischen Himmel und Erde

Besonders im Kleinen läuft Hürlimann zu großer Form auf. Ein Accessoire genügt, und schon wird in „Nietzsches Regenschirm“ das Denken des ihn schon früh beschäftigenden Philosophen auf engstem Raum aufgespannt. „Der große Kater“ über einen Staatsbesuch des spanischen Königspaars beim Schweizer Bundespräsidenten ist ein autofiktionales Spiel zwischen Öffentlichem und Privatem, Politik und Ehe vor dem dunklen Hintergrund des Sterbens seines an Krebs erkrankten Bruders. Die eigene Erfahrung mit dieser Krankheit hat Hürlimann vor zwei Jahren in dem aberwitzig-tröstlichem Schelmenroman „Heimkehr“ verarbeitet.

„Abendspaziergang mit dem Kater“ ist der Titel seines jüngsten Buches, ein Querschnitt der papierenen Gedankenflüge aus vierzig Jahren, die Hürlimann von seiner Ideenwarte zwischen Himmel und Erde ausgesandt hat. Am 21. Dezember feiert Thomas Hürlimann seinen siebzigsten Geburtstag.