Blumen, Kerzen und Botschaften an das Opfer – die Stadt Idar-Oberstein steht nach dem Mord an einem 20-Jährigen noch unter Schock. Foto: dpa/Thomas Frey

Es gibt mehrere Hinweise dafür, dass sich der Tankstellenmörder von Idar-Oberstein online im Milieu der Coronaleugner und „Querdenker“ bewegt hat – offiziell bestätigt sind sie von der Justiz aber bisher nicht.

Berlin - Von offizieller Seite hat es am Mittwoch keine neuen Erkenntnisse über den Mordfall im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein gegeben. „Wir werten weiter aus“, sagte der Bad Kreuznacher Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann auf die Anfrage unserer Zeitung, wie der 49-Jährige in der Szene der Coronaleugner eingebunden und radikalisiert worden war. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft über den Mann, der am Wochenende einen 20-jährigen Tankstellenverkäufer wegen dessen Aufforderung zum Aufsetzen eines Mund-Nasen-Schutzes erschossen hatte, nur mitgeteilt, dass er bei seiner Vernehmung zu Protokoll gab, die Coronamaßnahmen abzulehnen. Aus Ermittlerkreisen hatte es gleichwohl geheißen, der geständige und in Untersuchungshaft sitzende Tatverdächtige sei in den Theorien der sogenannten Querdenker-Szene „bewandert“.

Folgte der Täter AfD-Accounts?

Untermauert wird der Verdacht möglicherweise durch die Social-Media-Kanäle des Täters, die die Extremismusexperten des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) identifiziert haben wollen. Dort ist demnach von einem „kommenden Krieg“ sowie dem „fiktiven Klimawandel“ die Rede. „Sein Profil folgt vorwiegend AfD-Accounts und interagiert auch mit diesen“, teilte die Organisation mit. Der Satiriker Jan Böhmermann verbreitete, wem der Tankstellenmörder auf Twitter angeblich folgt – darunter Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke, der entlassene Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen (CDU) oder „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt. Zugleich weist Cemas darauf hin, dass in den Coronajahren 2020 und 2021 keine Beiträge verfasst wurden, was auch für einen Telegram-Zugang gelten soll. Die Staatsanwaltschaft wollte am Mittwoch weder bestätigen noch dementieren, ob die veröffentlichten Daten authentisch sind.

Der Mord von Idar-Oberstein ist der bisher brutalste, aber bei Weitem nicht einzige Fall von Gewalt, der sich aus dem Protest gegen die staatliche Coronapolitik speist. In der Pandemie ist die Zahl tätlicher Angriffe gegen Bahnpersonal oder Journalisten auf Demos angestiegen, erst vergangene Woche wurde im Vogtlandkreis ein Impfzentrum mit Molotowcocktails angegriffen.

Auf die Radikalisierung und rechtsextremistische Beeinflussung der Szene hat das Bundesamt für Verfassungsschutz im April mit der Einrichtung des Phänomenbereichs „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ reagiert. Das ermöglicht es der Behörde, auch nicht eindeutig einzustufende Personen oder Gruppen nachrichtendienstlich zu behandeln. „Wenn sich die Gewaltspirale weiter so dreht und angefacht wird durch Hass, Hetze“, warnte Präsident Thomas Haldenwang Anfang Juli, „würde ich auch nicht ausschließen, dass solche Gewalt irgendwann auch tödlich enden kann.“

„Gewaltbereite noch nicht vernetzt“

„Der Verfassungsschutz hatte früh den richtigen Riecher, die Querdenkerszene zum Beobachtungsfall zu erklären“, so der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, der dem Geheimdienstkontrollgremium im Bundestag vorsteht: „Eine aktive Vernetzung gewaltbereiter Mitglieder der Szene erleben wir zum Glück noch nicht, aber wir müssen unsere Sicherheitsbehörden dahingehend stärken, dass sie solche Entwicklungen in Chatgruppen, etwa bei Telegram, besser verfolgen und verhindern können.“ So könnten „Künstliche-Intelligenz-Tools wie in Israel“ eine Radikalisierung im Netz erkennen.

Unionskanzlerkandidat Armin Laschet ist derweil in die Kritik geraten, weil in seinem neuen Wahlspot der „Querdenker“ Thomas Brauner auftaucht. „Auch mit denen reden, die eine kritische Haltung haben – gerade mit denen“, heißt es im Werbefilm, der die Szene zeigt, als Brauner in Erfurt zu Laschet ans Mikrofon springt. Als „Busfahrer“ gehört Brauner zu den Protagonisten der Szene, betreibt einen eigenen Telegramkanal und verbreitet eine Radionachrichtensendung. Er verharmlost den Holocaust, indem er die Corona-Impfung damit vergleicht, die Pandemiemaßnahmen nennt er ein „Hygienediktatursystem“ und hat zu einer Maskenverbrennung aufgerufen. Bekannt wurde er, weil er vor einem Jahr als Busfahrer Kinder aufgefordert haben soll, ihre Masken abzunehmen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte die CDU am Mittwoch auf, das „Laschet-Video, in dem rechtsradikale Querdenker hofiert werden“ zurückzuziehen.