Bei der Durchsuchung des Anwesens eines mutmaßlichen „Reichsbürgers“ in Boxberg hat die Polizei ein ganzes Arsenal an Waffen sichergestellt. Im Vordergrund ein ballistischer Schutzschild eines Polizisten aus dem Einsatz. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Die Ursache für den Großeinsatz in Boxberg, bei dem ein Polizist verletzt wurde, war ein „Reichsbürger“, der seine Waffen nicht abgeben wollte. Wie sieht die Szene im Land aus?

Die Szene der „Reichsbürger“ in Baden-Württemberg wird größer. Im vergangenen Jahr hat der Verfassungsschutz im Land einen deutlichen Zulauf festgestellt. Das führen die Experten auf die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen und die dadurch in Umlauf gebrachten Verschwörungstheorien zurück. Derzeit rechnet das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) den „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ in Baden-Württemberg rund 3300 Personen zu.

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Die Bedrohungslage durch die Szene schätzt der Verfassungsschutz als hoch ein – besonders wegen der Waffenaffinität und des Gewaltpotenzials innerhalb des Milieus. Staatliche Maßnahmen beeindrucken „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ eher nicht. „In Teilen des Milieus ist ein Widerstandsnarrativ verbreitet, das neben verbaler auch eine ausgeprägte körperliche Gegenwehr vorsieht“, heißt es von den Verfassungsschützern. Bei dem Großeinsatz in Boxberg (Main-Tauber-Kreis) am Mittwoch hatte ein mutmaßlicher „Reichsbürger“ auf die Polizei geschossen, die einen Durchsuchungsbeschluss für sein Anwesen umsetzen wollte.

Nur wenige sind in Gruppierungen organisiert

Das Land hat ein genaues Auge auf die Szene. Allerdings sei diese heterogen und bestehe überwiegend aus Einzelpersonen. Nur etwa ein Fünftel der Personen im Milieu ist nach Erkenntnissen des Landesamts organisiert. Die aktuell aktivsten und personenstärksten Gruppierungen sind laut Verfassungsschutz „Bismarcks Erben“, der „Vaterländische Hilfsdienst“ und die „Verfassunggebende Versammlung“.

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Seit fünf Jahren müssen in Baden-Württemberg Reichsbürger und andere Extremisten ihre Waffen abgeben. Sie bekommen auch keine Waffenscheine mehr. „Jede eingezogene Schusswaffe ist eine Schusswaffe weniger in der Hand eines Extremisten - und damit eine Gefahr weniger“, sagt dazu Innenminister Thomas Strobl (CDU). Im Innenministerium hat man zusammengerechnet, dass seit 2017 insgesamt 148 Reichsbürgern und Extremisten der Waffenschein entzogen worden ist. Betroffen waren davon 444 erlaubnispflichtige Waffen. Von Zwischenfällen, wie dem in Boxberg ist dem Innenministerium nichts bekannt. Dort war die Polizei ausgerückt, weil der „Reichsbürger“ seine Waffen nicht abgegeben hatte, nachdem ihm der Waffenschein entzogen worden war.

Verfassungsschutz mit eigener Abteilung

Strobl verweist darauf, dass er das Landesamt für Verfassungsschutz organisatorisch gestärkt habe, „um die Reichsbürgerszene noch besser aufklären zu können“. Es wurde eine eigenständige Abteilung „Rechtsextremismus und -terrorismus, Reichsbürger und Selbstverwalter“ eingerichtet. „Nun beweist der unvermittelte, zielgerichtete und brutale Schusswaffen-Angriff auf die Polizei in Boxberg erneut die hohe Gefährlichkeit dieser Leute und die Richtigkeit, unsere Sicherheitsbehörden diesbezüglich zu stärken“, sagte Strobl unserer Zeitung.