Die Klimakrise hat auch Auswirkungen auf Stuttgart wie beim schweren Unwetter im Sommer. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg/Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttgatz

Die ökosoziale Ratsmehrheit will den Kampf gegen den Klimawandel massiv beschleunigen, das bürgerliche Lager hält das für utopisch. Klar ist: Auf die Stadt und die Bürger kämen gewaltige Herausforderungen zu.

Stuttgart - Während die Fridays-for-Future-Bewegung in Stuttgart für größere Anstrengungen beim Klimaschutz demonstrierte, haben am Freitag auch die Stuttgarter Stadträte im Klimaausschuss über den Stand der kommunalen Klimaschutzbemühungen debattiert. Dabei waren sich die Fraktionen – mit Ausnahme der AfD – weitgehend einig, dass auch die Stadt ihre Ziele für das Erreichen der Klimaneutralität ambitionierter fassen muss. Das bisher angepeilte Jahr 2050 sei zu spät. Über die neue Zielmarke und über die dafür zu treffenden Maßnahmen gab es erwartungsgemäß Dissens.

Die Fraktionen der ökosozialen Ratsmehrheit haben allesamt das Vorziehen des Datums beantragt: Das Linksbündnis fordert Klimaneutralität schon bis 2030, die SPD und die Fraktionsgemeinschaft Puls wollen 2035 als neues Ziel ausgeben, die Grünen wollen mit 2038 immerhin noch zwei Jahre schneller sein als die grün geführte Landesregierung. Jürgen Görres vom Amt für Umweltschutz machte allerdings deutlich: Je ambitionierter das Zieldatum, umso größer, schneller und damit auch teurer müssten die Schritte sein, um eine Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes gegenüber 1990 um 95 Prozent zu erreichen. Dafür benötige man außerdem zusätzliches Personal.

Alle Bereiche müssten viel mehr Kohlendioxid einsparen als bisher

Wie groß die Anstrengung wäre, zeigen Beispiele aus ausgewählten Bereichen. Im Sektor private Haushalte müssten etwa bis 2030 zusätzlich 0,75 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden, in Gewerbe, Handel und Dienstleistungen beläuft sich das zusätzliche Einsparvolumen auf 0,91 Millionen Tonnen und beim Verkehr auf 0,47 Millionen Tonnen.

Zudem bedarf es dafür einer ganzen Reihe technischer Innovationen sowie einer Beschleunigung von Planungsprozessen, etwa für den Ausbau von Nahwärmenetzen und den massiven Einsatz von Wärmepumpen anstelle von Gasheizungen. Das Klima- und Umweltbündnis Stuttgart (KUS) rechnet vor, dass schon allein bei einem Zieldatum 2040 die Sanierungsrate bei Gebäuden verdoppelt werden müsste.

Ist das zu überhaupt zu schaffen? CDU, FDP und Freie Wähler haben da ihre Zweifel. CDU-Fraktionschef Alexander Kotz etwa sieht die verschärften Zeitpläne als völlig unrealistisch an und sprach von „Märchenstunde“ und einer „Scheindiskussion“. Schon allein die langen Planungszeiträume etwa für den Ausbau des ÖPNV führten die angepeilten Ziele ad absurdum: „Vor 2040 wird sich nicht viel tun.“

Mittel aus dem Klimaschutzaktionsprogramm fließen nur spärlich ab

Während der AfD-Stadtrat Christian Köhler einer Renaissance der Atomkraft das Wort redete, ließen Grüne, SPD, Linksbündnis und Puls keinen Zweifel daran, dass die drastischen Prognosen des Weltklimarats zur rasanten Entwicklung des Klimawandels kein Zögern zulasse. „Menschenleben zu retten, darf keine Frage des Geldes sein“, so der Sprecher des Linksbündnisses, Hannes Rockenbauch. Martin Körner (SPD) will eine Milliarde Euro in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren, seine Fraktionskollegin Lucia Schanbacher appellierte an die Stadträte: „Wir müssen jetzt handeln.“ Und der zu Puls gewechselte Linken-Stadtrat Christoph Ozasek warb für einen massiven Ausbau der Fotovoltaik und den Verzicht auf den Ausbau der Nord-Süd-Straße auf den Fildern – „ein Klimakiller“. Benjamin Boy (Grüne) attestierte der großen Koalition in Berlin, den Ausbau der erneuerbaren Energien jahrelang blockiert zu haben.

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Dass noch viel Spielraum für eine Beschleunigung der Energiewende da ist, zeigen die aktuellen kommunalen Klimaschutzberichte. So sind etwa aus dem Ende 2019 verabschiedeten, 200 Millionen Euro schweren Klimaschutzaktionsprogramm erst 9,5 Millionen Euro abgerufen worden, aus dem darin enthaltenen Gebäudesanierungsprogramm (Volumen: 75 Millionen Euro) wurden gerade mal 5,5 Millionen Euro in Anspruch genommen.

Welche Zielmarke Stuttgart für die Klimaneutralität tatsächlich anstrebt, darüber soll zu einem späteren Zeitpunkt der Gemeinderat entscheiden.