Die neuen Lauben des Weindorfs locken besonders junge Menschen an. Foto: /Thomas Kiehl,

Süßer die Gläser nie klingen! Schon das Anstoßen ist – nach so langer Entbehrung – ein Genuss. Das Stuttgarter Weindorf brummt beim Comeback und verjüngt sich deutlich mit neuen Wirten. Ein Rundgang.

Ob der Wein nach Banane riecht, gar mit einem Hauch Cassis durchflutet ist oder sich Nuancen von Tabak auftun – all dies spielt bei Anna-Lisa Wenzler als Vertreterin von „The Next Weindorf-Generation“ keine Rolle. „Wir wollen den Moment genießen“, sagt die junge Wirtin, die mit ihrer Schwester Mona Wenzler Premiere in der gleich zum Auftakt brechend vollen City feiert. „Weinmoment“ heißt ihre Laube. Am Überbieten im verkopften Weinangeberwissen liegt ihr nichts. „Wein soll unkompliziert sein“, lautet die Botschaft. Jungen Leuten gehe es um schöne Gefühle beim Zusammensein.

Bei der Eröffnung im Hof des Alten Schlosses darf Anna-Lisa Wenzler mit ihrem jungen Rotenberger Kollegen Thomas Diehl den „frischen Wind“ am Mikro erklären. Sie rühmt den „modernen Wein“. Doch wie wird ein Wein modern? Fruchtig und frisch, nicht immer wie bei vielen Älteren nur trocken – das ist es, was bei den Jungen ankommt, betont die Weinmoment-Chefin später in ihrer Laube. Beliebte Rebsorten sind Riesling oder Grauburgunder. In der Stadtlaube von Diehl, Birgit Grupp und Katrin Weller ist ein Weincocktail der Bar Jigger & Spoon mit Diehls Spätburgunder der Hit (außerdem drin: Whiskey, Stachelbeere, Kastanie, Mint, Grapefruit). Auch die neue Marke Drop, in Kooperation mit der Weinmanufaktur Untertürkheim produziert, geht „wie geschnitten Brot“. Das Motto dabei ist: „Weniger nachdenken, mehr genießen.“

Die Weindorf-Chefin legt täglich etwa 20 000 Schritte zurück

Hoch die Gläser! Ach, allein das Anstoßen prickelt! Der Nachholbedarf ist groß, zumal das Sommerfest ausgefallen ist. „Abends knallt’s richtig“, hört man bei den Winzern. Die schlechten Nachrichten von Krieg, Corona, Energie sind für einige Stunden weit weg.

Weindorf-Chefin Bärbel Mohrmann läuft täglich bis zu 20 000 Schritte übers Gelände. Auch wenn es voll ist, sagt sie, heißt das nicht, dass Gewinne rekordverdächtig sprudeln. Die Kosten sind extrem angestiegen – in allen Bereichen. Die Leidenschaft der jungen Wirte und Winzer sieht sie als Pluspunkt. Ihre erste Bilanz: „Unser Plan, das Weindorf zu verjüngen, aber dennoch lieb gewordene Traditionen zu bewahren, ist ein Spagat, der bisher sehr gut geglückt ist.“

Das Weindorf ist mit 19 Tagen länger denn je. Wird es so umsatzstark weitergehen? Die Preise sind höher als vor der Pandemie, was mit explodierenden Kosten begründet wird. Dennoch gibt es in den Lauben eine Auswahl am Viertele unter sechs Euro. Wer Premiumweine möchte, zahlt indes schon mal zehn Euro für 0,25 Liter. Beim Weindorf erzählt man sich, dass es Gäste gibt, die kaufen sich ein Glas in den Lauben und füllen es, sobald es leer ist, mit eigenem Wein auf, den sie in Rucksäcken mitbringen. Die Temperatur isch grottaschlecht, aber g’spart wird!

Neu ist das Fritzle vor dem Rathaus

Begeistert von der Premiere ist auch Barry Hackh mit seiner Laube Fritzle am Rathaus. „Neu passt gut zu Tradition“, findet er. Fürs Fritzle, das nichts mit dem VfB-Maskottchen zu tun hat, aber „schö schwäbisch“ klingt, haben sich das Fritz (EmiLu Hotel), das Weingut exNicrum und die Agentur KMR zusammengetan. Vormittags geht’s los mit Frühstück und Kaffee. Aus dem Weindorf wird dennoch kein Kaffeedorf. An den Stehtischen vom Fritzle sieht man, wie viele Flaschen konsumiert worden sind, denn die werden sichtbar für alle zwischengelagert.

Magier Thorsten Strotmann, mit seiner Zauberlaube ein weiterer Debütant des Weindorfs, berichtet von Schlangen am Eingang: „Bis zu 200 Personen haben gewartet.“ Eigentlich wollte er, dass man spontan seine Kurzshows (Eintritt: zehn Euro, ein Viertele im Preis inbegriffen) besucht. Doch jetzt hat Strotmann das System umgestellt und nimmt doch Reservierungen an. „Gruppen und Firmen wollen exklusive Vorstellungen bei uns“, freut sich der Zauberkünstler.

„Ideen tauscht man am besten von Angesicht zu Angesicht aus“

Das Weindorf erweist sich als großer Treff – nicht nur in privater Hinsicht. Beim Viertele und bei Kässpätzle, also in lockerer Atmosphäre, können geschäftliche Beziehungen vertieft werden. Die Südwest Media Network (SWM.N) aus dem Pressehaus hat zum Vernetzen und zum Austausch Geschäftspartner in OX Schmückers Laube gebeten. Unter den 60 Gästen: Messechef Roland Bleinroth, Unternehmer Ulrich Kromer von Baerle, die Veranstalter Michael Russ, Christian Doll, Jürgen Schlensog. Auch Kabarettist Christoph Sonntag schaut vorbei, erfreut darüber, dass man „wieder von Angesicht zu Angesicht Ideen austauschen kann“. Dies sei wesentlich ergiebiger als im digitalen Dialog.

Der „Spuk“, fürchtet er, „ist nicht vorbei“. Der Herbst könne hart werden. Es müsse gespart werden: „Das tun die Leute bei der Kultur.“ Das Weindorf wird, weil man nicht weiß, was kommt, umso intensiver genossen. Sonntag trinkt gern Bier. „Ein Glas Wein reicht mir“, sagt er. Bier findet man bei Weindorf-Wirten allenfalls wie eine verbotene Droge unter der Theke – oder auf der Weinbar-Terrasse des Ratskellers: „Frisch gezapft für 3,70 Euro.“ Es ist die Zeit für Wein, für Spaß und Zukunft mit Tradition. Zum Wohl!