Thema Rechtsruck und was man tun kann: Stadtdekan Christian Hermes im Gespräch mit der Direktorin der Akademie der Diözese Rottenburg, Verena Wodtke-Werner. Foto: Jan Sellner

„Wie politisch soll die Kirche sein?“, lautete die Frage, die bei einer Veranstaltung in Stuttgart an den katholischen Stadtdekan Christian Hermes gerichtet war. Er hat dazu eine klare Meinung.

Es muss ein denkwürdiger Gottesdienst gewesen sein, von dem der katholische Stadtdekan Christian Hermes jetzt bei einer Veranstaltung im Haus der Katholischen Kirche berichtete. Vor der Konstituierung des neuen Stuttgarter Gemeinderats vergangenen Mittwoch hatten sich etliche der Neugewählten zu einem geistlichen Auftakt in der Stiftskirche versammelt – darunter auch die AfD-Stadträte Michael H. Mayer und Thomas Rosspacher. Hermes nutzte die Gelegenheit, um deutlich zu machen, dass mit einer Partei, wie der AfD, „die Menschen verwirrt und aufhetzt, kein Staat zu machen ist“, weil sie das demokratische Gemeinwesen zerstöre.

Nach dem Gottesdienst kam es zum persönlichen Disput. Die AfD-Stadträte hätten ihm gegenüber geäußert, es sei unmöglich, dass er gegen die AfD predige. Er habe sich um spirituelle Dinge zu kümmern und sich aus der Politik herauszuhalten. Mayer bestätigt auf Anfrage die verbale Auseinandersetzung. Hermes habe die AfD in dem Gottesdienst namentlich erwähnt und sich politisch eingemischt. So etwas gehe nicht.

„Kirche ist nicht Privatsache“

Für Christian Hermes geht das sehr wohl. „Wie politisch soll die Kirche sein beim Rechtsruck der Gesellschaft?“, lautete die Fragestellung im Haus der Katholischen Kirche. Darüber tauschte sich Hermes mit der Direktorin der Akademie der Diözese Rottenburg, Verena Wodtke-Werner aus. Seine Antwort dazu ist klar: Ja, Kirche soll sich einmischen. „Sie ist nicht Privatsache“, betonte er. Sie sollte sich aber auch nicht zu allem äußern – etwa zu Stuttgart 21 oder selbst Partei sein, wie einst das katholische Zentrum. Wenn jedoch die Würde des Menschen berührt sei und es um Grundrechte gehe, sei es notwendig, deutlich zu machen, wo man stehe. „Überall dort ist Religion zutiefst politisch“, sagte Hermes. Ihre Werte stellten für den Staat eine wichtige Ressource dar. Hermes zitierte dazu den katholisch geprägten, früheren württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz: „Politik ist nicht anderes als praktisch angewandt Religion.“

Mit dem Einsatz für die Menschenwürde begründet der Stadtdekan auch seine aktuelle Kampagne „Gesicht zeigen gegen Fremdenfeindlichkeit“. Die Katholische Kirche in Stuttgart ist Weltkirche im Kleinen, die Hälfte der Mitglieder haben Migrationshintergrund. Hermes beschäftigt die Frage, wie es auf die Menschen wirkt, wenn die AfD plakatiert „Remigration schafft Wohnraum“, wie im Stuttgart Kommunalwahlkampf geschehen. Für ihn ein klarer Fall von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Hermes weiß es zu schätzen, dass die Kirchen hier Klartext reden. Er erinnerte an die Stellungnahme der katholischen Bischöfe, die im Februar gemeinsam erklärt haben: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar.“

Aber wird Kirche überhaupt noch wahrgenommen und gehört? Im Generaltrend der Säkularisierung sieht Hermes ein großes Problem. Dazu kämen „katastrophale Reputationsschäden“ vor allem durch die jahrelangen Missbrauchsfälle. „Wir stehen vor dem Scheiterhaufen der Glaubwürdigkeit“, sagte er unumwunden – und setzt dennoch darauf, dass die Religion Gewicht hat und behält und die Gesellschaft die Kraft findet, dem Rechtstrend zu widerstehen und sich in einer „Zeit der Desillusionierung“ wieder stärker zuständig zu fühlen. Dazu braucht es aus seiner Sicht viel mehr politische Bildung. „Wo bleibt hier der öffentliche Aufschrei?“, fragte Hermes. Er vermisst Werbung für das Grundgesetz – in der Hoffnung, die Zivilgesellschaft so resilienter zu machen.

Wird die Kirche überhaupt noch gehört?

Er selbst will sich weiter klar positionieren, wissend, dass er sich damit teils heftigem Gegenwind aussetzt. Damit hat er Erfahrung, seit er 2017 an einem AfD-kritischen Buch mitwirkte („AfD, Pegida und Co.: Angriff auf die Religion“). Seitdem habe sich die Situation noch radikalisiert. „Wie hilft man denen vom Baum herunter?“, fragte zum Abschluss eine Zuhörerin. Gemeint waren AfD-Anhänger, die es auch in der Kirche gibt. Hermes rät dazu, den Dialog zu suchen, „ohne gleich die Nazi-Keule“ zu schwingen, allerdings auch ohne von den Standards abzuweichen, die das Grundgesetz vorgibt.