An seiner alten Schule in Gablenberg will Giuseppe Mannone Lehrer und Schüler in Sache KI beraten. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski/Leif Piechowski

Giuseppe Mannone hat es von der Hauptschule an die Universität geschafft. Seine Geschichte zeigt, dass das baden-württembergische Schulsystem viele Wege zum Abitur möglich macht, aber dass die Hürden für manche Kinder groß sind.

Wenn man es so will, drückt sich in Giuseppe Mannones Haltung zu Künstlicher Intelligenz auch seine Lebensphilosophie aus. Niemals nämlich, sagt Mannone, dürfe man dem Weg, den eine KI vorgibt, faul und gedankenlos hinterherstolpern. Zum Beispiel in Mathematik. „Der Lösungsweg ist so wichtig, um eine Aufgabe zu verstehen“, sagt Giuseppe Mannone. Deshalb müsse man diesen selbst finden.

Die Aufgabe seines Lebens hätte kaum kniffliger sein können. Vom Kind aus prekären Verhältnissen zum Projektleiter und Doktoranden am Institut für Maschinenelemente im Bereich Künstliche Intelligenz der Universität Stuttgartdas ist ein Bildungsaufstieg, den das baden-württembergische Schulsystem zwar theoretisch vorsieht, den aber nur wenige schaffen. Trotzdem sagt Giuseppe Mannone frei von jeder Haderei: „Mein Weg hat mich zu dem gemacht, der ich bin.“

Mannone lebt in einer Wohngruppe des Jugendamtes

Der heute 27-Jährige startet als Gastarbeiterkind. Sein Vater stammt aus Sizilien, kommt in den 60er Jahren nach Stuttgart. Als Mechaniker schafft er bei verschiedenen Firmen, holt seine Frau aus der italienischen Hafenstadt Salerno an den Neckar. Ende der 90er Jahre werden Giuseppe und sein Bruder geboren. Die Eltern trennen sich, die Kinder wachsen bei der Mutter im Stuttgarter Osten auf, die oft mit dem Leben und den wilden Jungs überfordert ist. Ihre Gesundheit ist angegriffen, das Geld fehlt überall. Ein paar Jahre kommen die Brüder deshalb in einer betreuten Wohngruppe des Stuttgarter Jugendamtes unter.

Was andere vielleicht als Tiefpunkt empfänden, nennt Giuseppe Mannone sein Glück. „Megaschön“ sei die Zeit in der Wohngruppe gewesen. Er, damals 12, 13 Jahre alt, sei dort „erwachsen geworden“. Zuvor schwänzte er tagelang die Schule, verbarg sich die Vormittage über im Keller. Er weiß heute gar nicht mehr, warum. In der Wohngruppenzeit änderte sich das. „Ich habe gemerkt, dass ich es mir selbst verbockt hatte. Ich ging auf die Hauptschule, dabei war ich in der Grundschule oft der Beste in Mathe.“

Was genau sich in dieser Zeit tat? Ob er sich von der Schwere daheim befreit fühlte? Ob er die wertschätzende Zuwendung der Erzieher genoss, mit denen er teils bis heute Kontakt hat? Oder ob Giuseppe Mannone einfach diese viel zitierte Resilienz besitzt, eine Widerstandskraft, die manche über die Lasten des Lebens einfach hinweggehen lässt. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus all jenem, jedenfalls blieb er fortan keinen einzigen Tag mehr dem Unterricht fern.

Kein Abschluss ohne Anschluss

Stattdessen macht er sich auf den „längsten Weg“, den das baden-württembergische Schulsystem bereit hält: Nach dem Abschluss an der Hauptschule Gablenberg besucht er die Cotta-Schule, macht den Realschulabschluss, geht weiter aufs Wirtschaftsgymnasium. Nach 14 Schuljahren schafft er als einer von zwei Jahrgangsbesten mit 1,4 sein Abitur. Kein Abschluss ohne Anschluss – dieses Motto der hiesigen Schulpolitik löst sich in Mannones Biografie ein, ist aber keine Selbstverständlichkeit für jene, die von Zuhause keine Hilfe bekommen können.

Giuseppe Mannone ging zuerst in die heutige Werkrealschule Gablenberg, von dort auf die Realschule und aufs Wirtschaftsgymnasium. Foto: Lichtgut//Piechowski

2024 ergab eine Studie des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik: Kinder mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund haben in Deutschland eine Wahrscheinlichkeit von rund 27 Prozent, ein Gymnasium zu besuchen, bei Kindern aus besser gestellten Familien sind es knapp 60 Prozent. Auch die alternativen Wege zum Abitur, etwa über die beruflichen Gymnasien, würden an dieser Ungleichheit nichts ändern, sagen die ifo-Forscher, denn Kinder aus privilegierteren sozialen Gruppen nutzten diese Möglichkeit weit häufiger als jene mit benachteiligtem Hintergrund.

Auch Giuseppe Mannones Eltern sind auf seinem Schulweg keine Hilfe. Im Gegenteil: Mit zwei, drei Nebenjobs gleichzeitig unterstützt der Junge die Mutter im Existenzkampf. Nach der Arbeit lernt er bis spät. „Manchmal ging ich mit nur zwei Stunden Schlaf in den Unterricht.“ Vor allem im Gymnasium wird der Unterschied zu anderen Jugendlichen offenbar. Deren Eltern können bei den Hausaufgaben helfen, zahlen Nachhilfestunden, wenn nötig. Mit 18 kommen seine Mitschüler mit dem eigenen Auto zur Schule.

An der Universität dann, im Bachelorstudium Maschinenbau und im Masterstudiengang Autonome Systeme, findet er sich unter lauter Akademikerkindern wieder. „Für die war das alles selbstverständlich an der Uni. Ich hatte gar keine Ahnung, was das überhaupt ist: studieren.“ Neben dem Lernen ist Giuseppe Mannone damit beschäftigt, sein Konto nicht zu überziehen. Weil seine Halbwaisenrente – der Vater ist mittlerweile gestorben – angerechnet wird, bekommt er nur 60 Euro monatlich Bafög, er nimmt einen Studienkredit auf, den er hoch verzinst zurückzahlen muss. „Ein Schlag ins Gesicht“, sagt Mannone.

An die Unis drängen vor allem Akademikerkinder

„Geld ist schon eine wichtige Voraussetzung für Bildungserfolg“, ist seine Erfahrung, für die auch die Zahlen sprechen: Laut dem Hochschulbildungsreport studieren von 100 Nichtakademiker-Kindern 27, während sich von 100 Akademikerkindern 79 für ein Studium entscheiden.

Aber Giuseppe Mannone – freundlich-wacher Blick, interessiert am Gegenüber – ist keiner, der solche Schieflagen im System nur benennt, er will sie gerade rücken. Deshalb hat er sich lange in der Initiative Studenten bilden Schüler engagiert, die heute Study Tutors heißt, hat deren Stuttgarter Standort geleitet. Studierende geben finanziell benachteiligten Kindern ehrenamtlich Nachhilfe – so das Konzept. Mannone hat dabei erlebt, wie wichtig es ist, dass diese Mädchen und Jungen merken: Es gibt jemanden, der mir hilft. Diese Hilfe müsste eigentlich aus dem Schulsystem selbst kommen, findet er.

Unterstützen will er nun auch die Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler seiner ehemaligen Schule, der Grund- und Werkrealschule Gablenberg. Er will ihnen zeigen, wie man KI gut nutzen kann. Giuseppe Mannone forscht zu Künstlicher Intelligenz und wie sie Prozesse optimieren kann, sodass menschliche Arbeitskraft frei für anderes wird. Im Institut für Maschinenelemente der Universität Stuttgart arbeiteten sie zusammen daran „wie eine Familie“. Vor der KI Angst zu haben, hält Mannone für falsch, findet es vielmehr gut, dass sie in Form etwa von ChatGPT für alle verfügbar ist. Man müsse nur im Kopf behalten, dass KI „halluzinieren“ könne, also Fehler macht.

In der Schule könnte diese Technik beim Lernen helfen, etwa als Nachschlagewerk. Lehrkräfte könnten mit ihr einfach und schnell Material auf unterschiedlichen Niveaus erarbeiten, sodass jeder Schüler seinem Vermögen entsprechend lernt. „Die KI übersetzt zum Beispiel in Sekunden eine Aufgabe in einfache Sprache“, sagt Giuseppe Mannone. Lösen müssten die Kinder und Jugendlichen diese dann freilich selbst. Es geht ihm – wie gesagt – immer um den Weg.