Beisammen sein, gute Gespräche führen und ruhige Stunden verbringen – das ist wichtiger als Streitigkeiten übers Klima.   Foto: Pexels

Beim Festessen über heikle Themen wie den Klimawandel zu diskutieren, kann die Stimmung gründlichen verderben. Die Stuttgarter Psychologin Stefanie Pausch verrät, wie man knifflige Situationen bei Familientreffen löst.

Man hat sich Wochen nicht gesehen, dann sitzt die Familie am Weihnachtstisch zusammen. Plötzlich treffen Familienmitglieder, die das Klima schützen wollen, auf andere, die trotz der Klimakrise weitermachen wie bisher. Damit es am Weihnachtsfest nicht zum Streit kommt, rät die Stuttgarter Psychologin Stefanie Pausch, Erwartungen herunterzufahren – und das Klima nicht an den Festtagen retten zu wollen.

Ein Familienmitglied ernährt sich vegan und will das Klima schützen. Aber auf dem Tisch steht der Weihnachtsbraten und jemand kommt von weit her mit dem Flugzeug angereist. Wie viel Zündstoff für einen ordentlichen Familienstreit bietet diese Kombination am Weihnachtsfest, Frau Pausch?

Eine ganze Menge. Die Erwartungen sind hoch, alle wollen, dass es schön wird. Zunächst einmal könnte man denken, dass Weihnachten ein guter Anlass ist, um über Klima und Nachhaltigkeit zu sprechen. Wir wissen aus der Sozialforschung, dass Menschen, die einem nahestehen, am besten in persönlichen Gesprächen davon überzeugt werden können, wie wichtig Klimaschutz ist. Aber an Weihnachten kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Werten, Lebensstilen und Weltanschauungen zusammen, da kann es schnell krachen – dafür muss man noch nicht mal über den Klimawandel sprechen. Weihnachten ist deshalb nicht die ideale Gelegenheit, um über die Klimakrise zu diskutieren.

Vegetarierinnen oder Veganer stecken an Weihnachten in einem Dilemma. Sie wollen nicht den Weihnachtsbraten mitessen, das eigene Essen mitzubringen, kann aber den Gastgeber verletzen. Wie löst man das?

Wer sich vegan oder vegetarisch ernährt, sollte das auch an Weihnachten vorleben dürfen. Ich selbst ernähre mich vegetarisch, mache aber am Fest kein großes Thema daraus und begnüge mich mit Beilagen. Wenn blöde Kommentare kommen, weil man kein Fleisch isst, sollte man nicht in den Kampfmodus wechseln. Besser ist zu zeigen, dass es einen verletzt, wenn andere einen damit aufziehen. An Weihnachten missionieren zu wollen, ist eher nicht erfolgreich.

Wer sein eigenes Essen mitbringen möchte, kann das genauso tun. Das Weihnachtsessen des Gastgebers kann man trotzdem wertschätzen, auch wenn man es nicht isst. Abgesehen davon ist vegan oder vegetarisch sein ja keine persönliche Macke, sondern fleischarme Ernährung ist einer der Wege, das Überleben der menschlichen Zivilisation zu sichern.

Also für meine Großmutter ist die größte Wertschätzung, viel von ihrem üppig gekochten Essen zu essen.

Natürlich, das ist eine Möglichkeit, Wertschätzung auszudrücken. Lob für den Aufwand auszusprechen, den sie sich gemacht hat, kann ihr ebenfalls ein gutes Gefühl geben. Oder man kocht gemeinsam ein vegetarisches Gericht aus Kindheitstagen, das einem immer besonders gut geschmeckt hat.

Jüngere Menschen müssen verstehen, dass es den Älteren schwerfällt, auf Altgewohntes zu verzichten. Eltern oder Großeltern hingegen sollten versuchen, offen gegenüber den Entscheidungen ihrer Kinder und Enkel zu sein, auch wenn die Welt ihnen manchmal fremd erscheinen mag.

Wie könnte ich reagieren, wenn mich jemand etwa wegen des Tofus in meinem veganen Weihnachtsbraten mit Sojabohnen aus Übersee kritisiert. Muss ich mich verteidigen?

Verteidigung und Kampfmodus bringen am Weihnachtstisch eher nichts, das schaukelt Emotionen nur hoch. Zuzugeben, dass man nicht perfekt ist und auch nicht sein kann, entschärft die Situation vermutlich mehr als zu argumentieren. Eine andere Möglichkeit wäre, Lösungsfragen zu stellen: „Welche Ideen hast du, um klimafreundlicher zu leben?“ Neugier ist deutlich effektiver als Gegenangriff.

Wie kommuniziere ich mein Missfallen an einem Geschenk, das ich aus Nachhaltigkeitsgründen nie gekauft hätte oder das in Hochglanz-Geschenkpapier verpackt ist?

Hinter einem Geschenk steht meist eine liebevolle Geste, die man anerkennen sollte. Gefällt einem ein Geschenk absolut nicht, sollte man sich immer fragen, ob man es sagt und die Kränkung des anderen wirklich in Kauf nehmen möchte.

Gut finde ich, selbst nachhaltige Geschenke zu machen oder sie umweltfreundlich zu verpacken. Damit erreiche ich viel mehr, als mit erhobenem Zeigefinger andere zu kritisieren. Vielleicht bleibt es Familienmitgliedern in Erinnerung und sie packen die Geschenke im nächsten Jahr auch nachhaltiger ein.

Manchen Leuten stehen Gefühle ins Gesicht geschrieben – sie können ihren Ärger nicht runterschlucken.

Die wenigsten Menschen können ihre Gefühle komplett überspielen. In dieser Situation ist eine gewisse Kontrolle jedoch durchaus nützlich. Helfen könnte, tief durchzuatmen oder bis drei zu zählen, bevor man etwas sagt.

Nicht vergessen dürfen wir, dass die Klimakrise politisch gelöst werden muss – und nicht am Weihnachtstisch. Wenn wir uns bewusst machen, dass Weihnachten nicht der Zeitpunkt für ausschließlich klimafreundliche Entscheidungen ist, dann sind unsere Erwartungen niedriger – und die Enttäuschung ebenfalls. Und das sage ich, obwohl ich selbst Klimaaktivistin bin.

Und was mache ich, wenn jemandem mein ausgesuchtes Geschenk, das ich sinnvoll und nachhaltig finde, nicht gefällt?

Wenn sich der Beschenkte nicht so freut, wie ich es mir gewünscht habe, darf ich meine Enttäuschung durchaus zeigen. Ich könnte erklären, warum ich das Geschenk ausgesucht habe und warum es nachhaltig ist. Ich selbst schenke meinen Lieben übrigens nicht nur nachhaltige Geschenke, meine Jungs lieben zum Beispiel Lego und Fußballtrikots sind auch nicht „öko“.

Angenommen es kommt doch zu Diskussionen und die Stimmung ist im Keller – Haben Sie Tipps zur Deeskalation?

Dann funktioniert eigentlich nur die Exit-Strategie: Diskussion beenden und durchatmen, vielleicht bei einem Spaziergang. Aus der Psychologie wissen wir, dass sich Menschen an die Emotionen im Gespräch erinnern, weniger an den Inhalt. Jemanden im Streit von meiner Position überzeugen zu wollen, bewirkt eher Widerstand. Hat jemand aber ein gutes Gefühl dabei, wird er im Nachhinein eher noch mal darüber nachdenken.

Besser wäre aber, über Erwartungen und mögliche Konfliktthemen vorab zu sprechen. Man könnte auch vor dem Fest vereinbaren, dass Gespräche über den Klimawandel an Weihnachten tabu sind. Selbst die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat sich mit ihrer Familie darauf geeinigt. Eine kurze Nachricht über WhatsApp kann helfen: „Hallo Leute, ihr wisst, dass wir unterschiedliche Auffassungen über das Klima haben. Aber können wir vereinbaren, an Weihnachten friedlich miteinander zu bleiben und Diskussionen zu vertagen?“ Auch beim Thema Corona war das ja eine wirkungsvolle und notwendige Strategie.

Psychologin und Klimaaktivistin

Psychotherapie
Stefanie Pausch, Jahrgang 1974, ist Diplom-Psychologin mit eigener Praxis für Verhaltenstherapie in Stuttgart-West.

Psychologie der Klimakrise
Pausch ist Mitglied bei Psychologists/Psychotherapists for Future, einer deutschlandweit aktiven Gruppe aus Psychologen und Psychotherapeuten, die ihr Fachwissen zum emotionalen Umgang mit der Klimakrise weitergeben. Sie gibt Selbstfürsorge-Workshops für Klimaaktivisten und hält Vorträge zur Psychologie der Klimakrise.