Dan Ettinger ist seit 2015 Chefdirigent der Stuttgarter Philharmoniker – mit Vertrag bis 2023. Foto: Wilhelm Betz

Die Stuttgarter Philharmoniker melden sich mit einer Reihe von Sommerkonzerten im Konzertleben zurück – und planen Größeres.

Stuttgart - Endlich! Der Mann mit dem wilden, gerade leicht grau getönten Blondschopf lächelt. Dan Ettinger steht nicht am Pult, aber ein bisschen dirigiert er trotzdem. Bei Mozarts Es-Dur-Quartett für Klavier und Bläser (KV 452) hat er den Klavierpart übernommen, und wenn immer wieder eine Hand von ihm in die Luft schnellt, dann ist das nicht nur dem Temperament des Dirigenten geschuldet, sondern auch einem Reflex – als wollte er den Musikern seiner Stuttgarter Philharmoniker Zeichen und Wegweisungen geben.

Das brauchen diese nicht, denn sie sind es gewohnt, in kleinen Formationen aufeinander zu reagieren. In manchen Momenten klingt ihr Mozart so direkt, wie Ettinger ihn liebt, in anderen weich und fließend. Bei schnellen Passagen vermisst man gelegentlich ein paar Tastentöne, aber das schert niemanden. Das im großen Saal des Gustav-Siegle-Hauses nach Plan verstreute Publikum ist hoch konzentriert und glücklich; ein lautes Dankeschön schwingt auch am Samstagabend in seinem langen Beifall mit.

Nach der Corona-Pause melden sich die Stuttgarter Philharmoniker mit jeweils zwei doppelt aufgeführten Sommerkonzerten pro Woche im Konzertleben zurück. Kammermusik steht auf dem Programm, serviert mit viel Kunst und hohem Engagement. Die dritte Sonata a quattro (ein Streichquartett für zwei Violinen, Cello und Kontrabass) des erst zwölfjährigen Gioachino Rossini enthält schon Spuren jenes ausbalancierten Dialogs von Kantilene und wiederholten Bassfiguren, die typisch sind für die späteren Opern des Komponisten. Auch das Perpetuum mobile in Hugo Wolfs Italienischer Serenade hat etwas deutlich Szenisches. Nach dem Konzert bedankt sich Dan Ettinger beim Publikum. Man spürt seine Erleichterung. Der März und der April, sagt er später im Gespräch, seien für ihn traumatisch gewesen. „Ich musste die Kunst beiseiteschieben. Sonst wären meine Sorgen übergroß geworden.“ In seinem Leben habe er noch keinen Pfennig mit etwas verdient, das nicht Musik war. „Was mache ich, wenn ich nicht mehr Musik machen kann? Das ist meine größte Angst.“

Was tut ein Musiker, der nicht mehr Musik machen kann?

Auch Michael Stille, dem Mann, der 2001 als Intendant zu den Philharmonikern kam, sieht man die Last der vergangenen Monate an. Es werden seine letzten in Stuttgart gewesen sein: Zur neuen Spielzeit wechselt Stille als Orchesterdirektor ans Theater Dortmund – und wird dort einem Dirigenten zur Seite stehen, den er selbst dereinst zum Orchester der Landeshauptstadt holte: Gabriel Feltz. Wie Stille die Situation sieht? „Wir wollen die Menschen mit unseren Konzerten ein bisschen aus der Wirklichkeit heraus und in eine andere Wirklichkeit hineinholen. Durch die Corona-Sicherheitsmaßnahmen werden sie aber ständig zurückgeworfen.“ Ansonsten: planen, umplanen, auch für die kommende Saison, für die zurzeit noch ein neuer Intendant gesucht wird. Groß Besetztes in kleinerer Besetzung bieten, manches austauschen – und hoffen, dass Projekte wie etwa das Filmmusik-Konzert im März wieder unter „normalen“ Bedingungen stattfinden kann. Beim Doppelkonzert mit Prokofjews „Symphonie classique“ und Strawinskys „Pulcinella“-Suite am 27. Juli im Beethovensaal werden immerhin schon mal 40 Musiker auf der Bühne sitzen und 250 Besucher im Parkett. Das Orchester selbst, sagt Ettinger, habe sich für dieses Konzert verkämpft. „Wir wollen doch nicht nur zu Hause sitzen und dafür unser Gehalt von der Stadt bekommen. So sind wir einfach nicht.“