Ein kleines Paradies rund ums kleine Wohnhaus hat sich die Familie Möhring in Stuttgart-Wangen geschaffen. Foto: Heidi Knobloch

Die Hälfte des Jahres hat Familie Möhring ein riesiges grünes Wohnzimmer: den Hanggarten rund um ihr kleines Haus in Wangen. Er bietet Platz für Obst, Gemüse – und viele tierische Mitbewohner.

Stuttgart - Das kleine Wohnhaus der Familie Möhring in Stuttgart-Wangen hat ein riesengroßes Extra-Zimmer: den Garten. „Im Sommer wohnen wir praktisch draußen“, lacht Verena Möhring. „Drinnen sind wir nur, wenn es regnet oder zu kalt ist.“ Die Familie hat nicht das berühmte „Handtuch“ vor oder hinter dem Haus. Sondern ein Grundstück am Hang, mit einer Fläche von 10 Ar, also 1000 Quadratmeter. Es gibt den oberen Garten, den Garten bei der Werkstatt, den unteren Garten – und seit Kurzem: den neuen Garten. Verena Möhring, gelernte Schreinerin und bei einem Bio-Versandservice tätig, führt aufs Nachbargrundstück. „Der Besitzer hat keinen Spaß am Gärtnern“, erklärt sie. „Wir haben schon viele Ideen.“

Gemüse aus dem Garten und ein Hase namens Löwenzahn

Seit 15 Jahren lebt Verena Möhring mit ihrem Mann und den beiden Töchtern an dem Nordhang. Zur Familie gehören auch viele tierische Mitbewohner: die Katze Lisbet, die beiden Schildkröten Frieda und Miss Turtle, die beiden Hasen Löwenzahn und Gänseblümchen, das Huhn Erna mit seinen fünf Gefährtinnen sowie der Hahn Caruso, eine Mischung aus Herbertinger Hofhahn und chinesischem Seidenhuhn. „Eier haben wir immer genug, drei bis vier pro Tag – und Küken manchmal auch“, sagt Verena Möhring, die gerne kocht und backt – auch mit eigenem Gemüse aus dem Garten.

Auf dem Terrassentisch steht selbst gemachter Holundersirup und ein Kuchen mit Mirabellen und Johannisbeeren. Die Möhrings haben auch Äpfel, Birnen, Erdbeeren und Kirschen. „Ich gehe in den Garten, schaue, was es gibt und entscheide dann, was ich koche. Das gefällt mir“, sagt Verena Möhring. Im Gemüsebeet hat sie Bohnen, Lauch, Kartoffeln, Möhren. Nah beim Haus steht das Gewächshaus: Die Tomaten – Verena Möhring kennt jede Sorte vom Extra Öhrli bis zur Olirose – stehen akkurat in Reihen. Die Auberginen tragen kleine lilafarbene Früchte. Außerdem gibt es Tanja-Gurken. „Und auf die Wassermelone freue ich mich jetzt schon“, sagt die Hobbygärtnerin, die auch einmal drei Semester lang Landwirtschaft studiert hat.

Stauden und Wiesenblumen

Außer fürs Obst und Gemüse ist sie dafür zuständig, dass es blüht im Garten: „Immer etwas anderes, das ganze Jahr durch.“ Es gibt viele Stauden: „Besucher staunen immer über meinen Rittersporn.“ Aber auch einjährige Pflanzen, die sich aussäen dürfen: Wenn ein rosa Mohn – jahrelang vermisst – plötzlich wieder da ist und das Regiment im Möhrenbeet übernimmt, ist für Verena Möhring klar: „Ich kann ihn nicht einfach ausreißen, schön wie er ist.“ Der Natur mit Respekt zu begegnen, das leitet die Möhrings bei allem, was sie im Garten tun. Sie gärtnern biologisch und versorgen die Erde mit eigenem Kompost, Hornspänen und Bio-Dünger. Es gibt viele verwilderte Ecken.

„Nur laufen muss man können.“, sagt Matthias Möhring und mäht schmale Wege in die hüfthoch stehenden Wiesen. Auch die Samenstände von Schafgarbe und Wilder Möhre, Glockenblume und Ochsenauge dürfen sich verbreiten. Die Natur belohnt die Möhrings: Sie haben unzählige Insekten im Garten. Verena Möhring fotografiert und bestimmt sie gern. Da sind die Schmetterlinge: Distelfalter, Dickkopffalter, Kaisermantel, Schachbrett, die eindrucksvollen schwarz-roten Streifenwanzen. Die Krabbenspinne, mal weiß, mal gelb: Sie passt ihre Farbe an die Lebensumgebung an. Für die Wildbienen hängen die Möhrings jedes Jahr neue Insektenhotels auf: „Schon ganz früh im Jahr, sonst zieht niemand mehr ein“, hat Verena Möhring beobachtet. „Ich freue mich an den Tieren, die uns besuchen.“ Nur das Reh sei weniger willkommen: Es fresse alles, von Fetthenne bis Rosenknospen.

Eine starke Hand für Hecken- und Baumschnitt

Matthias Möhring arbeitet als Bühnentechniker am Stuttgarter Staatstheater und spielt in seiner Freizeit gerne Bluegrass-Musik auf der Gitarre. Im Garten ist er für die Tätigkeiten zuständig, die eine starke Hand und lange Arme brauchen: Hütten instandhalten, Hecken schneiden, Rasen mähen, Bäume pflegen. Beim Schnitt der großen Buchse folgt er den natürlichen Formen und lässt auch mal einen Teil stehen: „Wenn ich das Gefühl habe, die Pflanze will das so.“ Trotzdem sind ihm die glatt geschnittenen Hecken und Formgewächse wichtig: „Das Auge muss sich ausruhen können.“

Matthias Möhring ist mit einem Schrebergarten groß geworden: „Meine Eltern hatten einen, und wir Kinder waren immer mit dabei“, berichtet er. Als einer der ersten Gartenbetreiber hätten er und sein Bruder einen Teich angelegt und sich an Gelbbauchunken, Molchen und Libellen erfreut. Das Vorhaben hätten sie extra beim Vorstand beantragen müssen: „Wir, als kleine Jungen.“, lacht er. Als ihm vor Kurzem bei einem Sturm ein uralter Kirschbaum – um die 100 Jahre alt – umgefallen ist, hat er ihn nicht entsorgt. Sondern den Stamm auf der schwäbischen Alb in lange Bretter schneiden lassen. Die lagern jetzt in einem Unterstand im Garten: „So lange, bis sie getrocknet sind und ich mir aus dem Holz eine Gitarre bauen kann“, erklärt der Hobbymusiker, der auch Schreiner gelernt hat. „Das wird noch Jahre dauern.“

Sich verantwortlich fühlen und frei atmen

Den Kindern, sagt Verena Möhring, tue es gut, sich mit Tieren zu beschäftigen. „Die Mädchen sind sehr verantwortungsbewusst mit den Hasen: Sie misten, füttern sie und lassen sie aus dem Stall ins Freie.“ Sie selbst dreht jeden Morgen eine Runde und schaut bei den tierischen Mitbewohnern nach dem Rechten. Wenn die Familie mal verreist ist, kümmern sich Verena Möhrings Mutter und Freunde um die Tiere und das Gießen der vielen großen Blumentöpfe mit Oliven- und Zitrusbäumchen.

Die Möhrings schalten und walten im Garten, wie es ihnen gefällt. „Die Besitzer lassen uns freie Hand“, freuen sie sich. Dass der Garten sie immer wieder überrascht, sich wandelt und jedes Jahr anders ist, das mögen sie. Sie schaffen selten von morgens bis abends. „Nur im Frühling ist richtig viel los, da darf der Haushalt auch mal liegen bleiben.“ Ansonsten läuft die Arbeit „eher so im Vorbeigehen“, sagen sie. Und sie genießen: „Mit einem schönen Buch im Liegestuhl – was gibt es Schöneres.“

Die Möhrings lieben ihren Garten und können sich nicht vorstellen, anders zu leben. Die ganze Familie ist sich einig: „Hier können wir frei atmen.“