Die Zerstörungswut in der Stuttgarter Innenstadt sorgt für Entsetzen. Foto: dpa/Marijan Murat

Als „irreführend“ haben Clubbetreiber die Aussagen der Polizei bezeichnet, hinter der Krawallnacht von Stuttgart stecke die „Partyszene“. Damit werde eine Branche, die gerade „genug zu kämpfen“ habe, in ein schlechtes Bild gerückt.

Stuttgart - „Die verallgemeinernde Schuldzuweisung des Polizeipräsidenten“ hält Dirk Wein, Mitorganisator der Partyreihe Lovepop, für „verantwortungslos“. Verstehen kann er nicht, dass der Chef der Stuttgarter Polizei so „völlig undifferenziert“ eine „komplette Branche“, die ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sei, „in ein schlechtes Licht rückt“. Wein spricht von „Idioten , die sich am Eckensee und anderswo volllaufen lassen“. Die aber hätten mit den Zehntausenden, die normalerweise jedes Wochenende friedlich in den Clubs feierten, „so gut wie nichts zu tun“.

Für „sehr unglücklich“ hält Hannah Japes, die Vorsitzende des Club-Kollektivs Stuttgart, die pauschale Aussage, die „Party- und Eventszene“ sei für die Krawallnacht verantwortlich. Sie betont: „Die Stimmen, die uns aus unserer Mitgliedschaft erreichen, von Betreibern der Clubs und Bars, sind eindeutig: Diese sinn- und hirnlosen Gewaltexzesse sind das Letzte, was wir wollen.“

„Es gibt keine homogene Partyszene“

Hannah Japes betont, dass es „keine homogene Partyszene“ gibt. In der Nacht zum Sonntag habe die Situation am Eckensee begonnen, nicht in der Nähe eines Clubs. Die Betreiber der Bars und Clubs appellieren an die Stuttgarter Polizei, „künftig bei der Begriffswahl diese Aspekte zu berücksichtigen“, sagte die Vorsitzende des Kollektivs stellvertretend. Clubs und Veranstalter seien aufgrund der nach wie vor geltenden Einschränkungen, die in den meisten Fällen einen geschlossenen Betrieb bedeuteten, aktuell in großer Not. „Deshalb ist uns diese Richtigstellung sehr wichtig, wir benötigen aktuell Unterstützung und keine verallgemeinernden Vorwürfe“, sagt Hannah Japes. Wenn OB Fritz Kuhn nun erkläre, die feiernde Meute am Schlossplatz sei „nicht Stuttgart“, dann kenne er „sein Stuttgart nicht“, kritisiert die Clubsprecherin.

Jetzt gehe es darum, Ursachenforschung zu betreiben und Lösungsansätze zu formulieren. „Dafür stehen wir der Stadt gerne beratend zur Seite“, sagt Hannah Japes.

Carlos Coelho, der unter anderem den Keller Club über viele Jahre betrieben hat, glaubt, „dass der aufgestaute Frust der letzten Monate und das Übertragen der Bilder von den gewalttätigen Polizeieinsätzen in den USA den Boden bereitet haben für die Eskalationen“. Durch den Begriff „Partyszene“ fühlten sich die Stuttgarter Clubs nun zu Unrecht „in die selbe Schublade gesteckt wie die Randalierer“.

„Solche Leute haben bei uns Lokalverbot“

Wütend ist Clublegende Werner „Sloggi“ Find von der Boa: „Es ist unglaublich, wie man für das Geschehene die Partyszene verantwortlich macht. Leute, die in die Clubs zum Feiern gehen, haben mit den anderen, die jedes Wochenende am Schlossplatz rumhängen und sich die Kante geben, nichts zu tun.“ Laura Halding-Hoppenheit, die seit über vier Jahrzehnte den Kings Club betreibt, warnt ebenso vor Verallgemeinerung. Die Polizei liege mit ihrer Einschätzung daneben. „Solche Leute wie die Randalierer haben bei uns Lokalverbot“, versichert sie. Die Nacht der Gewalt zeige, wie nötig Stuttgart einen Nachtbürgermeister brauche. „So einen braucht die Stadt,“ sagt die Stadträtin, „nicht diesen Horror.“

Partyveranstalter Steffen Eifert vermutet, „die Polizei wollte die Krawallszene irgendwie bezeichnen, ohne einen Begriff zu verwenden, der als politisch unkorrekt empfunden werden könnte“. Dass nun der Begriff „Partyszene“ herausgekommen sei, hält er für „„abstrus“. Damit bediene die Polizei das Klischee, dass Party und Events eng mit dem Thema „Randale“ verbunden seien. Eifert: „Wir sind seit fast 30 Jahren Partyveranstalter und wir hatten in dieser ganzen Zeit noch nie in irgendeiner Form Krawall - und natürlich schon gar nichts, was auch nur annähernd an das von letzter Zeit ran kam, und da ist es schon etwas ärgerlich, wenn man durch so eine Formulierung in Zusammenhang mit irgendwelchen Chaoten gebracht wird.“

„Brandbeschleuniger waren die Ereignisse in den USA“

Auch Hiki Shikano, der Betreiber des Partygriechen Cavos, warnt davor, alle über einen Kamm zu scheren. „Diese Szene, die sich am Eckensee seit einiger Zeit zum Saufen von Dosenbier und Billigfusel aus dem Supermarkt trifft, hat mit denen, die die Lokale auf dem Kleinen Schlossplatz besuchen und dort leckere Weine, Longdrinks und Snacks genießen, mal überhaupt gar nichts zu tun“, versichert er. Das eine sei ein „schickes“ junges Ausgehpublikum, das andere seien „leider oft perspektivlose, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, denen langweilig geworden ist in den letzten Monaten“. Als Auslöser und gefährlicher Brandbeschleuniger fungierten die Ereignisse in den USA, glaubt der Cavos-Macher. Jetzt müsse es um Solidarität und Abgrenzung „dieses kleinen Anteils an Kriminellen“ gehen.

Eric Bergmann von der Bar Jigger & Spoon sagt, er sei auf der Seite der Polizei, aber die Aussage mit der Partyszene sollte der Polizeipräsident „dringend zurücknehmen, auch wenn das Kind jetzt schon in den Brunnen gefallen ist“. Stefan Schneider vom Palast der Republik beobachtet seit Tagen, „wie die Jungen und die Partyszene besonders am Wochenende orientierungslos durch die Stadt laufen“. Denn alle Clubs sind geschlossen. „Da sich Emotionen und der Frust aufgebaut haben, war es nur eine Frage der Zeit, bis etwas passiert“, sagt er. Auch bei den Clubbetreibern herrsche großer Frust wie bei den Einzelhändler durch die Coronakrise.