In Stuttgart können jetzt zum ersten Mal Interessierte Yoga vor dem Hintergrund einer immersiven Kunst-Ausstellung praktizieren.
Sterne, Steine und Blätter fliegen umher. Milch fließt in schweren Tropfen über Wand und Boden. Schaum rinnt herab, vermischt sich mit blutroter Farbe. Wer nur nach unten schaut, den erfasst ein leichter Schwindel, der es nicht leicht, macht das Gleichgewicht zu halten. Dann wieder gleicht die Yogaübung in der fließenden Umgebung wie das Eintauchen in eine sanft bewegte Welt aus Formen und Farben.
Die immersive Ausstellung „Vermeer – Meister des Lichts“, die aktuell in einem Nebenbau der Hanns-Martin-Schleyer-Halle zu sehen ist, ist ein Rausch aus Bildern und Klängen. Sie sollen einladen, „in die Poesie“ der Werke des niederländischen Barockmalers Jan Vermeer „abzutauchen“. So jedenfalls formuliert es werbewirksam die veranstaltende Alegria Exhibition GmbH, die seit einigen Jahren Kunst in „multimediale Edutainment-Showkonzepte“ verwandelt.
Yogakurs am Samstagvormittag
An diesem frühen Samstagvormittag sind die Türen zur Ausstellung aber offiziell noch geschlossen. Im Showroom haben sich um neun Uhr statt den üblichen Besuchern zwölf Teilnehmer eines Yogakurses zusammengefunden. Sie machen es sich in dem großen Raum auf mitgebrachten Gymnastikmatten bequem.
Die Stuttgarter Yogalehrerin Julie Marie Hübner hebt sich, während sie mit sanfter Stimme ihre Anweisungen gibt, meist nur wie ein wandelnder Schatten von den Projektionen auf den Wänden ab. Die Teilnehmer stehen mit gespreizten Beinen auf ihren Matten: „Streckt die Arme nach oben, als ob ihr eine Lichtkugel in Händen halten würdet“, flüstert sie in die Runde. Manchmal ist es nicht leicht, zwischen den Klängen der Musik ihrer Stimme zu folgen.
Das Wort „immersiv“ bedeutet so viel wie „eintauchen“, „versinken“ in eine virtuelle Umgebung. Die Idee, die aus Indien stammenden Körperübungen vor dem fließenden Hintergrund der digitalen Projektionen einer immersiven Ausstellung anzubieten, hatte Lilli Le, die Gründerin des Münchner Yoga-Studios Soul Relief, vor zwei Jahren anlässlich einer Show über den Jugendstil-Künstler Gustav Klimt in München. Seit diesem Jahr bietet sie ihr Programm auch in Stuttgart an.
„Mit der Ausstellung Monets Garten ist es groß geworden“, erzählt Lilli. In der Yoga-Szene duzt man sich. Sie selbst leite immer die erste Yogastunde vor Ort. Die folgenden übernehmen, wie am Samstag in Stuttgart, beauftragte Yoga-Lehrer. Lilli und Julie unterrichten im Rahmen der Show Yoga im sogenannten Vinyasa-Stil. Er sei „für seine körperliche Intensität und seinen fordernden Flow“ bekannt, sagt Lilli.
„Yoga und immersive Kunst“, betont sie, „ergänzen sich perfekt, weil alle Sinne hier geweckt werden.“ Die Projektionen würden die Teilnehmer, die in Stuttgart am Samstag mit zwei Ausnahmen Teilnehmerinnen sind, „mit Lichtern, Farben, Bildern und der Musik umhüllen.“
„So etwas, habe ich noch nie erlebt“
Ob das die Yoga-Schüler, die für die Stunde am Samstag inklusive Ausstellungseintritt 46 Euro bezahlen, auch so erlebt haben? Henry Weißker, einer von zwei Männern, die in der Schleyer-Halle dabei sind, ist sich sicher, dass die immersive Umgebung „es leichter macht loszulassen“. Vom Farbenspiel auf Wänden und Boden könne man sich entweder ablenken lassen oder „die Einflüsse mit ins innere Selbst nehmen“, sagt der 25-jährige Stuttgarter, der schon einige Yoga-Erfahrung mitbringt. Für Anfänger, glaubt er, erleichtere das ungewöhnliche Umfeld, den Einstieg in die Yoga-Praxis sogar. Nach der Stunde zeigt er sich begeistert: „So etwas“, sagt Henry, „habe ich noch nie erlebt“.
Am 8. Februar bietet Soul Relief eine weitere Yoga-Stunde im Showroom der Vermeer-Ausstellung an. Die Anmeldung erfolgt über die Internetseite des Yoga-Studios.