Er besingt die Gänsheide und den Westen, Bad Cannstatt oder die Dauerbaustelle Hauptbahnhof: Nasim Kholti macht Stuttgart-Songs mit viel Charme und Wortwitz. Bringt er sie irgendwann auf die Bühne?
Das ist mal ein Bandkeller. Auch wenn er genau genommen gar nicht im Souterrain liegt, sondern in einem Anbau im Hinterhof eines Hauses in der Böblinger Straße, tief im Stuttgarter Süden. Drinnen: Dicker Teppich und eine Wandverkleidung, die Geräusche dämmen, damit die Nachbarn nicht schimpfen. Hier schreibt Nasim Kholti seine Songs. Auch die 40-Sekunden-Miniaturen über Untertürkheim, Zuffenhausen oder den Killesberg, die den Singer-Songwriter inzwischen ziemlich bekannt gemacht haben – im Kessel und ein bisschen auch darüber hinaus.
Begonnen hat es im Frühsommer 2023 mit dem Hauptbahnhof. Hier läuft man sich bekanntlich Blasen, um zum Zug zu kommen, weil für Stuttgart 21 der Kopf- zum Durchgangsbahnhof umgebaut wird. Oder, um es mit Nasim zu sagen: „Es ist ein Scheiß-Fernwanderweg bis hin zum Gleis.“ Der Stuttgarter schrieb einen Text, ein paar Zeilen nur, griff zur Gitarre, drehte einen kurzen Clip und stellte den in seinen Instagramkanal „Nasimmusik“. So fing es an.
„Es war nur eine kleine lustige Idee“, sagt der 40-Jährige rückblickend. Aber er bekam viele Reaktionen, Leute, die sich wünschten, dass Kholti auch mal einen Kurz-Song über ihre Nachbarschaft schreibt. Also lieferte er. Die noble Gänsheide: „Stuttgarts Ghetto, das die meisten lieber meiden.“ Der hippe Westen: „Laktose-intolerant, ansonsten weltoffen.“ Der teure Killesberg: „Am kille, kille, kille, kille, Killesberg, da lebt es sich dank meines Erbes unbeschwert.“ Der urbane Süden: „Die Tübinger Straße – unsere Champs Élysées.“ Geballter Wortwitz, charmante Spitzen in wenigen Zeilen. Dazu stellt er zusammengeschnittene Videoschnipsel, die bekannte Ecken, Kneipen oder Läden in dem Stadtbezirk oder Stadtteil zeigen. „Es soll Feel-good-Content sein – Sachen, über die man sich ärgert, sieht man im Netz schon genug.“ Auch das „Länd“ hat er schon besungen. Das klingt dann so: „Welcome to se Länd – I hope you understand my Akzent. Hallöle, hallöle.“
Durch seine Stuttgart-Kurzsongs hat Nasim Kholti nach und nach auch Ecken der Stadt kennengelernt, die ihm davor noch unbekannt waren. „Wenn ich einen Bezirk nicht gut kenne, frage ich vorher auf Instagram: Was muss ich unbedingt erwähnen? Was sind die Lokale, Geschäfte, Orte, die nicht fehlen dürfen?“ Auch Freunde geben Tipps oder er liest sich in den lokalen Medien ein. „40 Sekunden sind auch schnell vorbei, da bekomme ich gar nicht alles unter.“ Meistens braucht er zwei Tage für Text, Musik und Video – „wenn ich eine gute Idee habe und richtig schnell bin, war ich auch schon mal an einem Tag fertig.“
Stuttgart-Mitte findet Nasim nicht so spannend
Etliche Bezirke hat er schon abgegrast, manche fehlen ihm aber noch. „Stammheim zum Beispiel. Und auch Mitte, wahrscheinlich deshalb, weil ich die ein bisschen langweilig finde. Es gibt spannendere Ecken als die Königstraße.“ Wenn er mit Stuttgart durch ist, hat er ja noch die Region vor der Brust: Zum Beispiel den Rems-Murr-Kreis, wo er aufgewachsen ist, in einem Elternhaus, in dem Musik immer eine große Rolle spielte. Als Kind spielte er Klavier, aber die Gitarre wurde seine „große Liebe“. „Musik“, sagt er, „hat mir schon immer Geborgenheit vermittelt.“
Der überwiegende Teil der Reaktionen, die Nasim Kholti auf seine Stuttgart-Songs bekommt, seien positiv, sagt er. „80 Prozent der Leute freuen sich einfach, dass man ihre Hood besingt.“ Viele der Nachrichten die er kriegt, klingen auch so: „Alter, wann kommt endlich Weilimdorf?“ Oder jemand ist traurig, dass ausgerechnet seine Lieblingskneipe es nicht ins Video geschafft hat. Der Rapper Dardan hat schon ein Like gegeben, der Sänger Max Giesinger, ursprünglich aus dem Nordschwarzwald, hat ihm „richtig nett“ geschrieben. Der ein oder andere versteht aber die Ironie nicht, die Kholti in seinen Versen verpackt. „Dann krieg ich auch mal ein Kotz-Emoji.“
Seit gut anderthalb Jahren schaut der 40-Jährige, der Soziale Arbeit studiert und in der Jugend- und zuletzt in der Bewährungshilfe gearbeitet hat, ob er nur von der Musik leben kann. Ein Versuch, der Mut braucht – vor allem mit zwei Kindern. Momentan klappt das gut: Er gibt Konzerte, spielt Gitarre für die Stuttgarter Künstlerin Kim Hoss, nimmt aber auch Aufträge von der Stuttgarter Straßenbahnen AG oder der Volkshochschule an. „Wenn es so weiter geht, kann ich tatsächlich als freischaffender Musiker und Content-Creator arbeiten.“
Durch seine Clips ist auch der Südwestrundfunk auf Nasim Kholti aufmerksam geworden, inzwischen fördert der Sender den Tiktok-Kanal des Sängers im Rahmen seines Talentnetzwerks. Auch deshalb legt er gerade eine kleine Pause bei seinen Stuttgart-Songs ein – er hat einfach weniger Zeit dafür.
„Ich habe durch den Stuttgart-Content viele neue Follower gekriegt, von denen viele aber gar nicht wissen, dass ich auch noch andere Musik mache“, sagt der 40-Jährige. Die klingt melancholisch, gitarrenlastig, sanfter Singer-Songwriter-Sound mit deutschen Texten. „Wenn Leute zu meinen Konzerten kommen, weil ihnen die Stuttgart-Songs gefallen und ich spiele die dann gar nicht, wären sie sicher enttäuscht.“ Auch deshalb hätte Nasim Kholti Lust, die Stuttgart-Miniaturen auch mal live zu spielen. „Ich überlege mir gerade, mal ein paar Kneipen oder kleine Läden wie das Schlampazius anzufragen, ob wir das einfach mal ausprobieren können.“
Welche Orte in Stuttgart er selbst gerne mag? „Bad Cannstatt rund um den Daimlerplatz, den Süden und den Osten – der ist super vielfältig, es machen dort immer mehr coole Restaurants auf und man ist gleich auf der Waldebene Ost.“ Ein „Langzeitziel“ hat Nasim Kholti auch: „Irgendwann will ich mal was für den VfB Stuttgart schreiben.“
Nasim im Netz
Instagram und TikTok
Seine Stuttgart-Kurzsongs und noch mehr Musik postet Nasim Kholti auf seinem Instagramprofil instagram.com/nasimmusik/
und auf TikTok unter tiktok.com/@nasimmusik.