Stattliche Fachwerkhäuser bildeten einst den bürgerlichen Mittelpunkt in Stuttgart. Foto: Sammlung Wibke Wieczorek

Zu den beliebtesten Orten zählt der Marktplatz nicht. Jetzt wird er umgestaltet. Das Stuttgart-Album zeigt, wie prachtvoll der Mittelpunkt der Stadt einst mal war. Hilft der Umbau, dass der verschmähte Platz zum Wohlfühlort wird?

Stuttgart - Die Sehnsucht nach der alten Pracht ist groß. Im Internetforum unseres Stuttgart-Albums werden historische Fotos des Marktplatzes mit großem Eifer diskutiert. Stattliche Fachwerkhäuser mit hohen Giebeln bildeten einst den bürgerlichen Mittelpunkt einer stolzen Stadt. Und heute? Der Vergleich fällt, wie Kommentator Michael Köster findet, ernüchternd aus: „Der Marktplatz ist der traurigste und lebloseste Platz der Stadt.“

Die Baustellen-Metropole bekommt eine neue Baustelle

Dies soll sich jetzt endlich ändern. Seit Montag wird der Platz vor dem Rathaus umgebaut. Vor den Häusern sind Passagen für Fußgänger abgesperrt. Planen sind hochgezogen. Die Baustellen-Metropole Stuttgart hat mitten in der City – ja, was wohl? – was „Neues“ bekommen: eine jahrelange Baustelle! Geplant ist, neue Granitsteine zu pflastern und vor dem Nespresso-Shop Wasserfontänen anzulegen. Zudem sollen neue Bänke installiert werden, „nicht kommerzielle Sitze“. Der historische Marktbrunnen soll auf das Höhenniveau des Platzes angehoben und restauriert werden. Die Platanen bleiben, weitere Bäume sind nicht vorgesehen. Helfen die Umbaumaßnahmen, dass der als langweilig verschmähte Ort bald pulsiert und seine geschichtliche Bedeutung zurückerlangt?

Ursprung des Marktplatzes gehen auf 1304 zurück

Tradition ist hier groß geschrieben: 1833 ist auf dem Marktplatz, dessen Ursprünge auf 1304 zurückgehen, das Spielwarenfachgeschäft Kurtz eröffnet worden. Heute befindet sich der Eingang zum verkleinerten Traditionsgeschäft an der Sporerstraße. Die Kette mit den Kaffeekapseln übernahm die Pole-Position.

Haufler hat für Generationen das Bild geprägt. 2015 wurde das Schreibwarengeschäft nach über 120 Jahren für immer geschlossen. Die Buchhandlung Osiander zog ein. Der Wunsch vieler, dass Osiander ein Freiluft-Café eröffnet, erfüllte sich nicht. Nun tut sich was auf der anderen Seite: In den Räumen der früheren Bankfiliale bei Breuninger soll im Oktober das Cotidiano eröffnen. Damit würde es wieder ein Café am für längere Zeit abgesperrten Marktplatz geben.

Der Marktplatz war ein Parkplatz

Auf den Marktplatz-Fotos der 1950er ist zu erkennen, dass es damals noch keine Straßencafés gab. Alexander Michael Horlacher kennt den Grund dafür: „Cafés waren in der Regel im ersten Stock – damit man nicht gesehen wurde beim ,nix schaffa‘.“ Beim Autofahren ließen sich die Menschen schon lieber sehen. Der Marktplatz war ein Parkplatz.

Im Vergleich zu früher, so wird im Facebook-Forum des Stuttgart-Albums bedauert, ist nach dem Krieg „wenig emotional“ an dieser zentralen Lage gebaut worden. Von „Schlichtheit“ sei die Architektur im Herzen der City geprägt, wo die Entscheidungen im 1956 eröffneten Rathaus getroffen werden, so ist zu lesen. Der prachtvolle Vorgängerbau ist von 1901 bis 1905 im Stil der flämischen Spätgotik errichtet worden.

„Man sollte den alten Rathausturm freilegen“

Wie wird der Marktplatz zur „Wohnstube der Stadt“, zu einem Wohlfühlort, an dem man sich gern aufhält? Viele Bürger wollen wohl mehr, als die Stadt plant. Eine Idee wird immer wieder genannt: Der alte Rathausturm, der noch „rudimentär“ unter der Verkleidung des neuen Rathauses vorhanden ist, sollte freigelegt und originalgetreu restauriert werden, meinen etliche unserer Leser.

Helga Kurz schreibt im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums: „Die umgebenden Häuser bestimmen den Flair eines Ortes wesentlich mit. Insofern ist eine neue Gestaltung des Platzes allein vergebliche Liebesmüh.“ Markus Maurer kommentiert: „Im Sommer wären schattige Plätze notwendig. Da ist es hier kaum auszuhalten.“ Doch die Stadträte wollen keine neuen Bäume pflanzen, schon allein, um dem Wochenmarkt nicht Platz zu nehmen. Die Planer könnten noch so viele Ideen für diesen Platz haben, schreibt Kerstin Roozbahani,, viel wichtiger sei es, das Rathaus zu erneuern, „zumindest die Fassade“. Angelika Österreicher pflichtet ihr bei: „Solange die umherstehenden Gebäude, insbesondere das Rathaus, nicht vollständig verschönert werden, bleibt der Marktplatz schmucklos.“

Ob Stuttgart an zentraler Stelle doch noch zu einem Wohlfühlort kommt, wird sich frühestens im August 2022 zeigen. Dann soll das Ende des dritten Bauabschnittes und die Eröffnung des neuen Marktplatzes gefeiert werden. Bis dahin heißt es: Willkommen in der Baustellenmetropole!

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