Ein Pferdefuhrwerk brachte den Mercedes-Stern im Juni 1952 direkt an den Stuttgarter Bahnhofsturm – auf einen Laster passte er nicht Foto: Daimler AG

Für vier Jahre wird der Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs „oben ohne“ sein. Unser Stuttgart-Album erinnert daran, wie der Bonatz-Bau 1952 nach heftigem Streit zum Mercedes-Stern gekommen ist.

Stuttgart - Seit wenigen Tagen präsentiert sich der Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs so, wie wir ihn nur von alten Fotos kennen. Die stadtprägende Silhouette grüßt sternenlos. Viele, die hochschauen, sind irritiert: Da fehlt doch was!

Von 1922 bis 1952 war der Anblick von heute der normale. Wer danach geboren ist, hat den Bonatz-Bau niemals ohne das riesige Mercedes-Logo gesehen und hat nicht mitbekommen, wie heftig seinerzeit gestritten wurde über den Plan, den im Krieg ausgebrannten Turm über Werbung zu finanzieren. Architekt Paul Bonatz, der zu dieser Zeit als Professor an der Technischen Universität in Istanbul lehrte, war verärgert, als er 1954 zurückkehrte nach Stuttgart – da war der Stern über dem Bahnhof längst aufgegangen. Seinen Turm hatte sich der Erbauer immer werbefrei gewünscht.

„Lieber ausgebrannt und leer, aber würdig“

19-mal ist der Bahnhof im Krieg von Bomben getroffen worden. Die Funktionstüchtigkeit des Zugverkehrs wurde während des Krieges durch ständige Reparaturen aufrechterhalten. Äußerlich war der Turm nahezu unbeschädigt aus, aber im Inneren war er ausgebrannt. Für die Sanierung hätte die finanziell schwer angeschlagene Bahn eine halbe Million Mark investieren müssen – dazu sah sie sich außerstande.

Friedrich Bauer, der Inhaber des Reisebüros im Hauptbahnhof, kam auf die Idee, den Turm für Werbezwecke freizugeben und mit dem Geld die Wiederherstellung zu finanzieren. Die Idee kam nicht bei allen an. Die Autofahrer würden abgelenkt, führten die Kritiker an, Leuchtreklamen nähmen überhand, deshalb solle man den Turm „lieber ausgebrannt und leer, aber würdig“ stehen lassen. Die Gegner der Sponsorenlösung warnten vor einem „zur überdimensionierten Litfaßsäule umgewidmeten Wahrzeichen der Stadt“.

Der Kompromissvorschlag kam von OB Klett

OB Arnulf Klett schlug einen Kompromiss vor. Anstelle mehrerer Werbeschilder sollte nur „dezent“ ein einziges Logo erlaubt werden: ein sich drehender Mercedes-Stern, angebracht am vorhandenen Fahnenmast – und damit deutlich von der Fassade abgehoben. Die Stange allerdings erwies sich als instabil. Es musste ein drei Meter hoher Standfuß montiert werden. Wie viel Geld Mercedes für den Werbehöhepunkt zahlte, war nicht zu erfahren. Auch heute schweigt das Unternehmen über die jährliche Summe, die es das rotierende Symbol auf dem Bahnhof kostet.

Warum setzte Mercedes nicht einen Lkw zum Transport ein?

Die alten Fotos zeigen, dass der Stern im Juni 1952 auf einem Pferdefuhrwerk angeliefert wurde. Warum hat Mercedes damals nicht einen ihrer Lastwagen eingesetzt? Sezin Durmus von der Daimler-Pressestelle lüftet dieses Rätsel auf Anfrage unserer Zeitung: „Der Stern war von einer Nürnberger Spezialfirma hergestellt worden und gelangte per Schiene im Tiefladewagen nach Stuttgart. Es gelang wegen seiner Größe und Form nicht, ihn mit einem Lkw zu transportieren. Nur mittels eines von Pferden gezogenen Spezialtransportwagens für übergroße Glasscheiben konnte man den Stern nah genug an den Turm bringen.“

Mit Seilwinden wurde der Koloss auf den Turm befördert. Damals hatte er einen Durchmesser von 4,20 Metern. Die Neonröhren hinter den Plexiglasscheiben leuchteten in den Stuttgarter Nachthimmel. Nach 20 Jahren wurde der erste Stern ausgetauscht, ein größerer musste her, einer, der hydraulisch kippbar war – eben jenes Exemplar aus zwei Tonnen, das während der Turmsanierung für vier Jahre am Mercedes-Benz-Museum ruhend steht und sich dort nicht dreht.

„Der Turm ohne Stern ist wie ein Hond ohne Seggel“

Auf der Facebook-Seite des Geschichtsprojekts „Stuttgart-Album“ wird eifrig über den neuen Anblick diskutiert. „Der Turm ohne Stern ist wie en Hond ohne Seggel“, schreibt Christoph Bubeck und erntet viele Likes. Andreas Schnell postet diesen Vergleich: „Der Turm ohne Stern ist wie ein Zug ohne Verspätung.“

 Anna Rock-Tabarowsky findet es „toll, den Bahnhofsturm in fröhlicher Urständ zu sehen“. Andreas Maier schlägt vor: „Stuttgart will zur Radstadt werden, da sollte man künftig ein großes Fahrrad auf den Turm montieren.“ Timo Kabel kommentiert: „Warum ein Automobilunternehmen auf dem Turm der Eisenbahn wirbt, war mir lange ein Rätsel. Eine gewisse Logik hatte es. Seit der Bahnprivatisierung waren alle Bahnchefs aus der Automobilindustrie. Nicht einer war ein Bahnspezialist. Das Ergebnis sieht man.“

Und Jan Rönnau schreibt: „Wenn ich den Stern vom Zug aus gesehen habe, wusste ich, jetzt bin ich daheim.“

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