Weißer Schlossplatz im Winter 1969. Foto: Thomas Mack

Ein zarter Hauch von Weiß hat Stuttgart erfreut – und ist in der City rasch verschwunden. Früher, hört man oft, war mehr Schnee. Wir blicken zurück auf strenge Winterjahre, als etwa die Weinsteige zur Skipiste wurde.

Stuttgart - Früher war, wie jeder dank Loriot weiß, mehr Lametta. Aber früher war auch, da sind sich viele ebenso einig, mehr Schnee. Mit dem Stuttgart-Album wollen wir eintauchen in den Winter der Vergangenheit, als dieser noch überwiegend weiß war – und „streng“, wie man damals sagte.

Beginnen wir mit dem Kleinen Schlossplatz im Winter 1969. Die Polizisten tragen weiße Mäntel, und der Schnee ist mitten in der Stadt angekommen. Bilden wir uns nur ein, dass früher mehr Winter war? Oder haben wir die Jahre mit wenig weißer Pracht nur vergessen?

Stuttgart war der Kältepol der Bundesliga

Die Statistik des Deutschen Wetterdienstes bestätigt, dass unser Eindruck stimmt. Mit einer Durchschnittstemperatur von 10,4 Grad ist das Jahr 2020 das zweitwärmste in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Bisheriger Spitzenreiter ist das Jahr 2018 mit einer mittleren Temperatur von 10,5 Grad. Es ist nun das zehnte Jahr in Folge, in dem die Temperatur das vieljährige Mittel übertrifft. Der Klimawandel ist zu spüren. Die Zahl der Schneetage geht immer weiter zurück.

Es gibt natürlich auch Ausreißer. Der Winter 2009/2010 in Stuttgart war besonders kalt. Vom 18. Dezember 2009 bis 21. Februar 2010 gab es eine geschlossene Schneedecke rund um die Uni Hohenheim. Am 19. Dezember 2009 wurden bei der Partie VfB Stuttgart gegen 1899 Hoffenheim im Stadion im Neckarpark minus 17 Grad über dem Boden gemessen. Stuttgart war der Kältepol der Bundesliga. Warm ums Herz wird es einem auch heute nicht, wenn man an den Machtkampf beim VfB denkt.

Stadt kauft in den 1960ern einen Eisbrecher für den Neckar

Und es ging sogar noch kälter. Besonders der Winter 1962/63 hatte es in Stuttgart in sich. Es war die Zeit, als der Bodensee zum letzten Mal komplett zufror und auch der Neckar zur pickelharten Eisrinne wurde. Vom 19. Januar 1963 an wurde dann aber professionell das Eis geknackt. Die Stadt kaufte sich für 380 000 Mark einen Eisbrecher, taufte ihn auf den Namen „Stuttgart“ und ließ das 240-PS-Brecherle zweimal täglich vor durch das bis zu 30 Zentimeter dicke Eis pflügen.

Die Zeitungen berichteten damals von Hunderten von Schaulustigen, die sich auf den Neckarbrücken dem Spektakel hingaben, wenn die „Stuttgart“ mit großem Getöse durchs Eis brach. Und zwar hübsch langsam, um nicht zu viele Wellen zu machen, die das Eis gegen das Ufer hätten krachen lassen. Überall kam der Eisbrecher aber nicht hin, so dass zum Beispiel die Crew der Ausflugsschiffe „Dorothea Epple“ oder „Rosenstein“ mit Vorschlaghämmern das Eis um die Liegeplätze der Boote herum zertrümmerten, damit die Rümpfe nicht eingedrückt würden.

Neckar on the rocks im Winter 1928/1929

Noch dicker war das Eis im Winter 1928/29. Bis zu 55 Zentimeter wurden gemessen, im Februar wusste sich die Verwaltung nur noch mit Sprengungen zu helfen, die die Eisbrocken bis zu 35 Meter hoch in die Luft schleuderten. „Das Getöse war in ganz Groß-Stuttgart und sogar bis hinauf nach Degerloch zu hören“, schrieb damals die Zeitung. Unter den Neckarbrücken türmte sich das Packeis zu bizarren Skulpturen und selbst Anfang März wurden in der Stadt noch Temperaturen von bis zu minus zehn Grad gemessen.

War der Feuersee im 19. Jahrhundert größer als heute? Diesen Eindruck gewinnt, wer das Schwarz-Weiß-Foto von 1890 sieht, das aus der erst 14 Jahre davor fertiggestellten Johanneskirche im Westen gemacht worden ist. Die Aufnahme stammt aus dem Buch „Stuttgart – Eine Stadt verändert ihr Gesicht“, vom Stadtmedienzentrum herausgegeben. Der zugefrorene See ist übersät mit schwarzen Punkten. Die Eisläufer haben an der Rotebühlstraße viel Spaß, aber bei diesem Andrang wenig Platz für Pirouetten. Denn es stehen auch viele ohne

Schlittschuhe auf dem See im Weg.

Als der Winter noch ein Winter war

Schade, dass damals die Erfindung der Videokamera noch in weiter Ferne lag. Man würde gern sehen, wie geschickt oder unbeholfen die nichts als dunkel gekleidete Herrschaften über die Eisplatten gerutscht sind. Die Frauen trugen Kopfbedeckungen und weite Röcke für ihren Wintertraum. Der Feuersee – der Name sagt es schon – war der See gegen das Feuer. Anfang des 18. Jahrhunderts ist der Teich als Speicher für Löschwasser angelegt worden. Die Menschen nutzten die Anlage bei der Johanneskirche schon früh zur Erholung und zum Sport.

Waren das noch Zeiten, als der Winter noch Winter war! Nichts ging mehr: In einer Februar-Nacht anno 1958 hat es einen halben Meter Schnee auf die Stadt herabgeworfen.

Die Weinsteige ist 1958 zur Skipiste geworden

Wie aus unserem Zeitungsarchiv hervorgeht, bekamen Oberschüler damals schulfrei, während sich die Volksschüler mit Schippen und Schaufeln zu ertüchtigen hatten. Die Schlagzeile auf der Titelseite lautete: „Schneemassen ersticken den Verkehr Süddeutschlands“. Das Dach der Liederhalle, das einzustürzen drohte, musste von der schweren Last befreit werden. Soldaten kamen zum Schippen. Der Straßenbahn- und Zugverkehr kam zum Erliegen. Helden der Arbeit nahmen Gewaltmärsche in Kauf, um in Büros oder an Werkbänken ihre Pflicht zu erfüllen. Die Neue Weinsteige wurde gar zur Skipiste. Eine Woche später übrigens hat das Wetter sich völlig gedreht: Am 14. Februar 1958 sind auf dem Schlossplatz 18 Grad Frühlingswärme gemessen worden.

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