Eine Szene aus dem Schweigemarsch vom Schillerplatz zum Hauptbahnhof. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Zehn Jahre „Schwarzer Donnerstag“: Hunderte Demonstranten versammeln sich am Mittwochabend vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof, um an das brutale Vorgehen der Polizei zu erinnern.

Stuttgart - „Schlagende Argumente für Stuttgart 21“ prangt es rot auf dem Plakat einer Demonstrantin. Daneben erinnert ein Foto an die Polizeiaktion vom 30. September 2010, als bei der Räumung des Schlossgartens zugunsten von Baumfällarbeiten für Stuttgart 21 bis zu 400 Projektgegner verletzt wurden. Hunderte haben sich am Mittwochabend vor dem Bahnhof versammelt, um an den Schwarzen Donnerstag zu erinnern. Unter ihnen auch Dietrich Wagner, dessen Sehkraft durch den Wasserwerfereinsatz zerstört wurde. Daniel Kartmann hatte mehr Glück. Seine Augen konnten in der Charlottenklinik gerettet werden. In seiner Rede würdigt er den sich jährenden Protest als Akt der Zivilcourage. Die Bewegung gegen S21 habe ihn zu einem politischeren Menschen gemacht, so der Musiker. Er beschwört das Gemeinschaftsgefühl der Versammelten und schließt mit dem obligatorischen „Oben bleiben!“

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Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D. sieht nach wie vor Klärungsbedarf, warum es überhaupt zum Polizeieinsatz gekommen sei. Die Deutsche Bahn AG habe die Voraussetzungen für einen Beginn der Baumfällarbeiten damals noch gar nicht erfüllt gehabt. Er lässt das brutale Vorgehen der Beamten in Erinnerungen von Beteiligten und Betroffenen nochmals Revue passieren, zitiert allerdings auch Polizisten, die verletzten Demonstranten Hilfe leisteten. Sie hebt Reicherter als „Menschen mit Vorbildcharakter“ hervor. Von ihnen erhoffe er sich Unterstützung bei der Aufklärung der Ereignisse. Sidar Carman (Verdi) hält fest, die Stuttgarter Polizei habe an jenem Donnerstag ihre Unschuld verloren. Stuttgart 21 stehe für ein undemokratisches System. Es gehe um wesentlich mehr als den Bahnhof allein.

Die Frage, ob man Lehren aus der Eskalation im Schlossgarten gezogen habe, beantwortet Joe Bauer, indem er auf die Verschärfung der Polizeigesetze verweist. „Pfefferspraybeschuss gilt heute als völlig normal“, zeigt er sich unzufrieden. Das Vorgehen der Beamten vor zehn Jahren geißelt er als „primitive Gewalt im Dienste des großen Geldes“. Der 30. September 2010 sei ein Tag der Schande. Das sehen die Demonstrierenden ähnlich. Sie vermissen eine echte Auseinandersetzung mit dem inzwischen offiziell für rechtswidrig erklärten Einsatz. „Die Zahl der Verletzten wird immer noch kleingeredet“, konstatiert ein Herr. Auch sei nicht hinreichend geklärt, ob die Polizei auch gezielt versucht habe, Projektgegner zu provozieren, um einen Vorwand zum Zuschlagen zu haben. Eine kritische Aufarbeitung jedenfalls stehe immer noch aus.

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