Im Schlossgarten zeichnet sich die Form des neuen Hauptbahnhofs ab. Foto: dpa/S. Gollnow

Der Bundesrechnungshof fordert, die Risiken des Bahnhofneubaus neu zu bewerten. Dem Bundesverkehrsministerium wirft die Behörde Untätigkeit und Verstöße gegen das Haushaltsrecht vor.

Stuttgart. - Offiziell 8,2 Milliarden Euro sind bereits veranschlagt, mehr als drei Mal so viel wie einst vorgesehen. Stuttgart 21 ist neben Berlins Flughafen BER eines der deutschen Großprojekte, die bei Planung, Umsetzung, Kosten und Terminen am schlimmsten aus dem Ruder gelaufen sind. Für den verantwortlichen Bauherrn, die ohnehin klamme bundeseigene Deutsche Bahn AG, bedeuten die Mehrkosten von über fünf Milliarden Euro eine gewaltige finanzielle Belastung.

Doch es könnte für den Staatskonzern und die Steuerzahler noch schlimmer kommen. Davor warnte der Bundesrechnungshof (BRH) bereits mehrfach eindringlich, zuletzt in einem vertraulichen Bericht an den Deutschen Bundestag vorigen Herbst. Demnach könnte das größte und umstrittenste Bahnprojekt noch teurer und noch später fertig werden. Zudem seien schon die bisherigen Mehrkosten für den Staatskonzern „kaum tragbar“, so die Prüfer. Daher solle das Projekt neu bewertet und der Umfang soweit möglich verringert werden.

Bericht soll unter Verschluss bleiben

Der brisante Bericht zu den weiteren S-21-Risiken blieb damals unter Verschluss und soll der Öffentlichkeit im Original weiter vorenthalten bleiben. Das geht aus einem aktuellen Schreiben des Bundesrechnungshofs an den Bundestag vom 17. September hervor, das unserer Redaktion vorliegt. Demnach lehnen sowohl das federführende Bundesverkehrsministerium (BMVI) als auch die Deutsche Bahn AG eine Veröffentlichung ab.

Der unabhängige Rechnungshof will seine kritische Expertise dennoch auf seiner Homepage noch im September mit zwei Schwärzungen veröffentlichen und gleichzeitig einen Journalisten informieren, der die Herausgabe beantragt hat. Der Gesetzgeber gehe grundsätzlich von Transparenz bei den Prüfergebnissen aus, betonen die Kontrolleure, die laut Verfassung das Finanzgebaren der Regierung zu überwachen haben.

Rechnungshof will Textstellen schwärzen

Als Begründung für ihre Ablehnung erklärten das BMVI und die DB AG dem Schreiben zufolge, dass man die Bewertungen des Rechnungshofs zu Termin- und Kostenrisiken nicht teile. „Schutzwürdige Belange“ seien aber nicht vorgebracht worden, so die Prüfer. Um den Bedenken des BMVI zu entsprechen, will der Rechnungshof zwei Stellen im Bericht vor Herausgabe schwärzen, was den Inhalt nicht wesentlich ändere. Regierung oder DB könnten die Veröffentlichung dennoch per Klage zumindest verzögern.

Die Opposition im Bundestag begrüßt die Absicht des Rechnungshofs, Transparenz zu schaffen. „In Anbetracht der schweren finanziellen Krise der DB AG hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über die Risiken dieses bundeseigenen Unternehmens informiert zu werden“, sagte die Verkehrsexpertin der Linken, Sabine Leidig, unserer Redaktion. Zu diesen Risiken gehöre „an erster Stelle das Projekt Stuttgart 21, das sich immer mehr zum finanziellen Desaster entwickelt“.

Scharfe Kritik von den Grünen

Auch von den Grünen kommt Kritik. „Die Begründung, weshalb der Bericht angeblich nicht veröffentlicht werden kann, ist dünner als die Luft auf dem Mount Everest“, sagte der Bahnexperte der Fraktion, Matthias Gastel. Der Bericht müsse offen gelegt werden, ebenso wie eine aktualisierte Kosten- und Zeitprognose, zumal „die Mehrkosten von S 21 am Ende aus öffentlichen Haushalten finanziert werden müssen“.

Die Kostenexplosionen und Baurisiken bei S 21 haben die Bundesregierung und die DB AG immer wieder massiv unter Druck gebracht. Inzwischen ist der Staatskonzern mit 30 Milliarden Euro verschuldet, schreibt hohe Verluste und soll neben elf Milliarden Euro Kapitalspritzen vom Staat bis 2030 auch zeitnah bis zu 6,7 Milliarden Euro Finanzhilfen für üppig hochgerechnete Corona-Belastungen erhalten.

Bahn braucht Steuermilliarden

Kritiker haben lange vor einem solchen Finanzdebakel auch wegen Stuttgart 21 und hohen Belastungen für die Steuerzahler durch den Schattenhaushalt der Deutschen Bahn gewarnt. Die EU-Kommission prüft seit Monaten die Zulässigkeit weiterer Milliarden-Beihilfen für den größten deutschen Staatskonzern, Wettbewerber sehen sich benachteiligt und drohen mit Klagen.

Die bevorstehende Veröffentlichung der 18-seitigen Expertise mit dem Titel „Haushaltsrelevante Risiken des Projektes Stuttgart 21“ kommt für die Regierung, deren Vertreter die DB im Aufsichtsrat kontrollieren sollen, und besonders für Verkehrsminister Andreas Scheuer ungelegen, der für die DB AG federführend ist.

Im Bericht vom 13. September 2019 werfen die Prüfer seinem Ministerium Untätigkeit und Verstöße gegen das Haushaltsrecht vor, weil die Finanzierung und der Bau des riskanten Tunnelprojekts nicht begleitend überwacht worden seien. Das BMVI müsse endlich „seine bisherige laissez-faire-Haltung aufgeben“ und aktiv werden, um weiteren Schaden für den Bund und die Bahninfrastruktur abzuwenden. Die Vereinbarung mit den Unternehmen sehe erweiterte Prüfrechte ausdrücklich vor.

Ministerium überwachte nicht

Zuvor hatte das BMVI gegenüber dem Bundestag-Haushaltsausschuss behauptet, für eine begleitende Überwachung des DB-Projekts sehe man keine Grundlage. Gleichzeitig räumte das Ministerium aber in dem vertraulichen Bericht ein, dass die Mehrkosten des Projekts in Stuttgart die Bahn AG belasten und sich daraus auch Risiken für den Bund ergeben. Der Bericht liegt unserer Redaktion ebenfalls vor.

Letztlich teile das BMVI ihre Einschätzungen „weitgehend“, betont die Prüfbehörde in ihrer Expertise. Allerdings habe das Haus von Andreas Scheuer offen gelassen, wie man den erkannten Risiken bei S 21 und deren Auswirkungen begegnen wolle. Der Rechnungshof fordert eine Neubewertung der Risiken. Dieser Forderung schloss sich der Prüfungsausschuss des Parlaments im Herbst 2019 an, mit einstimmigem Beschluss auch der Regierungsvertreter von Union und SPD.

Demnach sollen das Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzministerium, deren Staatssekretäre im DB-Aufsichtsrat sitzen, eine Strategie erarbeiten, um Risiken durch S 21 für die DB AG, den Bundeshaushalt und die Schieneninfrastruktur „gering zu halten“. Ob und wie dieser Arbeitsauftrag erledigt wurde, ist bisher nicht bekannt.