Laut Deutschem Schulbarometer erleben rund 90 Prozent der Befragten ihr Kollegium an der Schule im Südwesten stark oder sehr stark belastet. Foto: dpa/Marijan Murat

Pandemie und Lehrermangel haben tiefe Spuren in Schulen hinterlassen. Baden-Württembergs Lehrer fühlen sich überlastet, Schüler können sich nach einer Umfrage schlechter konzentrieren. Es könnte schlimmer werden: Denn viele Lehrkräfte wollen kürzer treten

Nach zwei Jahren Pandemie stehen fast alle Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg laut einer Umfrage am Rand der Erschöpfung. Vier von fünf Lehrkräften im Südwesten fühlen sich stark oder sehr stark belastet. Die meisten dehnen ihre Arbeit auf die Wochenenden, viele auch auf die Nachtstunden aus und sehen dennoch vor allem klaffende Lücken im Lern- und Lehrplan. Das zeigen Daten einer repräsentativen Forsa-Befragung im Auftrag der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart), die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht in den Ergebnissen der Umfrage ein „Alarmsignal“ für die grün-schwarze Landesregierung.

Laut Deutschem Schulbarometer erleben rund 90 Prozent der Befragten ihr Kollegium an der Schule im Südwesten stark oder sehr stark belastet, 79 Prozent sagen dies auch für sich selbst aus. Bundesweit arbeiten mehr als drei von vier Lehrerinnen und Lehrern (79 Prozent) in der Regel auch an Wochenenden, für die meisten ist Erholung in der Freizeit kaum noch möglich (60 Prozent). Etwa jede zweite Lehrkraft an einer deutschen Schule fühlt sich laut der Umfrage körperlich (62 Prozent) oder mental erschöpft (46 Prozent).

Robert Bosch Stiftung: „Lehrkräfte stehen enorm unter Druck“

„Lehrkräfte stehen enorm unter Druck“, sagte Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung. Sie müssten nicht nur die Digitalisierung im Rekordtempo nachholen, Corona-Richtlinien überwachen und Lernrückstände aufarbeiten. Es gelte auch, den Fachkräftemangel abzufedern und eine steigende Zahl von geflüchteten ukrainischen Kindern und Jugendlichen in die Schulen zu integrieren. Für 44 Prozent der bundesweit Befragten besteht ein Großteil des Unterrichts derzeit aus Krisenmanagement, das gilt vor allem für Haupt-, Real-, Gesamt- und Grundschulen.

Da mag es überraschen, dass laut Umfrage dennoch mehr als drei von vier befragten Lehrkräften in Baden-Württemberg noch immer zufrieden mit ihrem Job sind (78 Prozent). „Lehrerin oder Lehrer wird man aus Überzeugung“, sagte Wolf. „Aber chronische Überlastung macht auf Dauer krank und unzufrieden. Schulen benötigen deshalb dringend zusätzliches Personal“, warnte sie.

Nicht nur in den Kollegien zeigen sich die Spuren der Corona-Belastung. Auch bei den Schülerinnen und Schülern beobachten laut Umfrage bundesweit fast alle Lehrkräfte (95 Prozent) seit Beginn der Pandemie zunehmende Verhaltensauffälligkeiten. Viele hätten wachsende Probleme, sich zu konzentrieren oder zu motivieren. Deutlich zugenommen hat laut Befragung auch die Aggressivität bei den Schülern. Allerdings werden der Umfrage zufolge nur an einem Drittel der Haupt-, Real- und Gesamtschulen und an jeder vierten Grundschule Sprechstunden von Schulpsychologen angeboten.

Ergebnisse sollen alarmieren

Die Stimmungslage der aktiven Lehrerinnen und Lehrer könnte nicht nur in Baden-Württemberg den bereits deutlichen Lehrkräftemangel verstärken: Bundesweit mehr als jede zehnte Lehrkraft (13 Prozent) gab in der Befragung an, kürzer treten und ihre Unterrichtsstunden im kommenden Schuljahr verringern zu wollen, das gilt vor allem für Teilzeitkräfte. Laut Umfrage plant fast ein Drittel derjenigen, die aktuell 15 bis 20 Stunden unterrichten, das Deputat zu reduzieren (bundesweit 27 Prozent).

„Lehrer sehen vor Ort, was die Lebenswirklichkeit der Pandemie und der steigenden Preise mit den Kindern und Jugendlichen macht, wie schwer viele zu erreichen sind und wie sie leiden“, sagte die baden-württembergische GEW-Landeschefin Monika Stein dazu. „Sie können das nicht abfedern und das macht etwas mit den Menschen“, warnte sie.

Die Ergebnisse der Umfrage sollten die baden-württembergische Landesregierung aber nach ihrer Einschätzung alarmieren. „Ich hoffe, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Regierung die Ergebnisse sehr ernst nehmen“, sagte Stein der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist ein Alarmzeichen, ganz klar.“ Die Lehrkräfte seien „am Anschlag“, das Land müsse dringend mehr investieren und vor allem die Zahl der Studienplätze ausbauen, forderte sie und kritisierte: „Die Regierung unterschätzt den Lehrermangel und seine Tragweite.“