Der Verbrauch von Erdgas ist in den vergangenen Monaten deutlich teurer geworden, und weitere Preiserhöhungen stehen an. Foto: Adobe Stock/Markus Bormann

Immer mehr Kunden wollen in die Grundversorgung wechseln, weil der ehedem teure Tarif mittlerweile oft der günstigste ist. Doch das wollen viele Anbieter nicht.

Viele Jahre lang war es empfehlenswert, den Versorger zu wechseln und vor allem der teuren Grundversorgung den Rücken zu kehren. Mittlerweile aber steht der Strom- und Gasmarkt kopf, und die Grundversorgung ist vielerorts zum günstigsten Tarif geworden, in den zahlreiche Kunden wechseln möchten. Daran aber haben viele Versorger kein Interesse. Bei den Verbraucherzentralen laufen die Telefone heiß.

Was ist die Grundversorgung?

Die Grundversorgung ist ein Tarif für Strom und Erdgas, für den gesetzlich festgelegte Regeln gelten. In jedem Versorgungsgebiet gibt es einen Strom- und einen Gaslieferanten, der die Grundversorgung anbieten muss, weil er die höchste Zahl von Kunden in dem Gebiet versorgt. In diesem Tarif bezieht jeder Strom und/oder Gas, der seinen Lieferanten noch nie gewechselt hat, aber auch diejenigen, die in eine Immobilie ziehen, ohne vorher einen anderweitigen Vertrag abgeschlossen zu haben.

Was sind Sonderverträge?

Daneben gibt es sogenannte Sonderverträge, die Wettbewerber, aber in aller Regel auch der Grundversorger selbst, anbieten. Seit der Liberalisierung des Marktes 1998 und bis vor Kurzem waren diese Tarife in aller Regel die günstigsten und wurden entsprechend allerorten empfohlen. Im langjährigen Strompreisvergleich unserer Redaktion ließen sich gegenüber der Grundversorgung ordentliche Summen durch den Wechsel in einen Sondervertrag sparen. Das hat sich geändert.

Wie sieht es aktuell auf dem Markt aus?

Seit Herbst vergangenen Jahres steigen die Preise für Strom und Erdgas. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat sich die Entwicklung verschärft. Daher haben viele Energieanbieter ihre Preise teils massiv angehoben. Eine Leserin unserer Zeitung berichtet von einer Preiserhöhung ihres Anbieters, der ihre Stromrechnung mehr als verdoppelt hätte – statt 33,76 Cent pro Kilowattstunde verlangte die Energie-Versorgung Deutschland (EVD) von September an 70,91 Cent pro Kilowattstunde. Auch die Suchen auf Preisportalen wie Verivox oder Check24 sind wenig ergiebig geworden. „Für viele Verbraucher ist die Grundversorgung plötzlich der günstigste verfügbare Preis“, sagt Matthias Bauer, Energieexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Wie kommt man in die Grundversorgung?

Häufig werden die Grundversorgungstarife von den Unternehmen aktuell nicht offensiv angeboten, weil der plötzliche Run auf diesen Tarif den Grundversorgern aus wirtschaftlichen Gründen nicht willkommen ist. Die Bedingungen müssen aber immer im Internet veröffentlicht sein, und telefonisch muss darüber auch Auskunft gegeben werden. Ein Wechsel in diesen Tarif darf laut Gesetz nur mit Verweis auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit verweigert werden. Dennoch gibt es beim Wechsel derzeit oft Probleme, wie Verbraucherschützer berichten: „Wir registrieren vermehrt Fälle, bei denen Kunden in der Ersatzversorgung einsortiert werden und nicht in der Grundversorgung“, berichtet Bauer.

Was ist die Ersatzversorgung?

Den Begriff Ersatzversorgung gibt es schon lange im Energiewirtschaftsgesetz. Sie greift immer dann, wenn ein Verbraucher seinen Versorger verliert – etwa im Fall einer Insolvenz. Versorgt wurden diese Kunden früher immer im Grundversorgungstarif. Seit 1. August ist es den Grundversorgern aber erlaubt, für Grund- und Ersatzversorgung getrennte Preise festzulegen und von Ersatzversorgungskunden bis zu drei Monate lang höhere Preise zu verlangen.

Was heißt das konkret?

Die EnBW etwa, die in weiten Teilen Baden-Württembergs als Grundversorger fungiert, hat zum 15. August getrennte Tarife eingeführt und verlangt sowohl bei Strom als auch bei Gas in der Ersatzversorgung einen mehr als doppelt so hohen Preis pro Kilowattstunde wie in der Grundversorgung. „Bei einer regulären eigenen Kündigung oder durch den bisherigen Anbieter fallen Kunden und Kundinnen in die Ersatzversorgung und können eine Übernahme in die Grundversorgung beantragen“, sagt ein Sprecher der EnBW. Mit anderen Worten: Wer in die Grundversorgung der EnBW wechseln will, muss damit rechnen, erst einmal in die Ersatzversorgung eingruppiert zu werden.

Was sagen Verbraucherschützer dazu?

„Wenn jemand selbst seinen Gas- oder Stromvertrag regulär kündigt oder sein Sonderkündigungsrecht geltend macht, gilt nach unserer Auffassung eindeutig die Grundversorgung“, kritisiert der Jurist Holger Schneidewindt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen das Verhalten der Grundversorger, die Neukunden derzeit erst einmal in die Ersatzversorgung einsortieren. Auch wenn der teure Tarif auf drei Monate begrenzt sei, „50 Euro sind für viele zurzeit schon existenziell“, sagt er. Und auch Bauer von der baden-württembergischen Verbraucherzentrale sieht Handlungsbedarf. So, wie sie derzeit gestaltet sei, „ist die Novelle ein für den Verbraucher nachteiliges Gesetz“, sagt er. „Wir stellen uns darauf ein, dass wir das gerichtlich klären müssen.“ Er sammelt nun genauso wie sein nordrhein-westfälischer Kollege Schneidewind konkrete Fälle. „Das Thema steht bei allen Verbraucherzentralen weit oben auf der Agenda“, so Schneidewindt.

Warum gibt es den Tarifsplit?

Hintergrund für die Splittung der Tarife ist, dass einige Grundversorger nach den plötzlichen Kündigungen durch Unternehmen wie Stromio oder Gas.de im Dezember schlechtere Konditionen für Neukunden eingeführt haben, die plötzlich von ihnen versorgt werden mussten. Neu Hinzugekommene zahlten dann also mehr als Bestandskunden in der Grundversorgung. Dagegen gingen vor allem die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und der Ökostromanbieter Lichtblick juristisch vor – und erreichten auch mehrere einstweilige Verfügungen beispielsweise gegen die Stadtwerke Pforzheim. „Diese Verfahren werden fortgeführt“, wie Schneidewindt betont, da es nicht zuletzt auch um Schadenersatz für die höher eingestuften Kunden gehe.

Was rät die Verbraucherzentrale zurzeit?

Auch Matthias Bauer rät dazu, zunächst einmal beim örtlichen Grundversorger nach den aktuellen Konditionen zu fragen. Zudem lohne es sich oft, bei den umliegenden Grundversorgern – in der Regel die Stadtwerke – nach deren Sondertarifen zu fragen. Ansonsten rät er, vor einem etwaigen Wechsel nochmals genau die Konditionen des eigenen Anbieters mit denen von Wettbewerbern zu vergleichen und im Zweifel beim bisherigen Lieferanten zu bleiben – erst recht, wenn der Vertrag mit einer Preisgarantie verbunden ist.

Wer ist mein Grundversorger?

Häufig beantwortet das eine Internetrecherche nach den Begriffen „Grundversorger“ und dem Namen des Wohnortes. Wer im Netz nicht fündig wird, kann sich an seinen Netzbetreiber wenden. Wer das wiederum ist, steht auf der letzten Gas- oder Stromrechnung – leider so manches Mal nur als Codenummer. Dann empfiehlt sich entweder ein Anruf beim Gas- oder Stromlieferanten oder die Eingabe der Codenummer auf der Homepage der Bundesnetzagentur.