Beim Ortstermin des Petitionsausschusses macht der stellvertretende Ausschussvorsitzende Andreas Kenner dem Eigentümer Seyit Mehmet Sümengen wenig Hoffnung: Seine Hütte in einer Streuobstwiese beim Esslinger Stadtteil Wiflingshausen muss wohl weichen.
Hier das Recht, dort das Rechtsempfinden: So die Stimmungslage beim Ortstermin vor der Gartenhütte von Seyit Mehmet Sümengen in einer Streuobstwiese bei Wiflingshausen. Dem Recht nach darf an der fast fertigen Hütte seit Ende Juni 2023 nicht weitergebaut werden. Sie dürfte eigentlich gar nicht mehr stehen. Die Stadt Esslingen und das Regierungspräsidium erachten sie als Schwarzbau im Landschaftsschutzgebiet, der abzureißen sei.
Dagegen wehrt sich nicht nur Sümengens Rechtsempfinden, sondern auch das seiner Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Nachbar- und Bürgerschaft. Deshalb hat der Stücklesbesitzer den Petitionsausschuss des Landtags angerufen. Dieser machte sich am Freitag vor Ort ein Bild, vertreten durch den stellvertretenden Vorsitzenden, den Kirchheimer SPD-Landtagsabgeordneten Andreas Kenner, und die Grünen-Obfrau im Ausschuss, die Heilbronner Abgeordnete Gudula Achterberg. Auf Behördenseite waren zu der Freilicht-Ausschusssitzung Mitarbeiter von Stadt und Kreis Esslingen, Regierungspräsidium und Umweltministerium geladen. Dem Petenten konnte Kenner indes kaum Hoffnung machen: „Ich sehe im Ausschuss keine Mehrheit.“
Indes hat der Abrissbescheid in der Bevölkerung hohe Wellen des Unverständnisses geschlagen. Denn Sümengen hat nicht einfach ein Gartenhäusle ins Landschaftsschutzgebiet geklotzt, sondern nur neu aufgebaut, was eingestürzt war. Aus Sicht der Behörden ein unzulässiger Neubau. Zwar stand die morsche alte Hütte aus der Nachkriegszeit unter Bestandsschutz. Aber was nicht mehr besteht, genießt auch keinen Schutz. Oder wie Philipp Leder, Leiter der höheren Baurechtsbehörde beim Regierungspräsidium, erklärte: „Der Bestandsschutz erlischt mit dem Abbruch.“ Auch wenn es kein geplanter war. Alles danach gilt als Neubau. Auch wenn es, wie Sümengens Hütte, auf demselben Fundament und in kleineren Abmessungen errichtet wird.
Keine Baugenehmigung
Sümengen machte keinen Hehl daraus, dass er um keine Baugenehmigung ersucht habe, da er davon ausgegangen sei, es handle sich um eine bloße Reparatur. Ein Passant sah das offenbar anders, erstattete Anzeige und brachte so die Paragrafenlawine ins Rollen, die das Häuschen voraussichtlich vom Hang fegt. Selbst wenn Sümengen beim städtischen Baurechtsamt vorstellig geworden wäre, hätte das „wahrscheinlich auch nichts geändert“, sagte Michael Kretzschmar, stellvertretender Leiter der Abteilung Naturschutz im Umweltministerium. Denn die Rechtslage, so die Behördenvertreter, sei eindeutig, die Stadt Esslingen zurecht eingeschritten.
Hingegen verstehen Sümengen und seine Unterstützer die Welt und den Rechtsstaat nicht mehr. Und wie immer kochen die Emotionen hoch, wenn Gesetze an Empfindungen rühren. Erst recht, wenn ein Sympathieträger wie Sümengen betroffen ist. Mehmet, wie ihn seine Freunde nennen, ist ökologisch und sozial engagiert, ein Idealist, was die Nutzung von Hütte und Grundstück anbelangt. Kindern und Jugendlichen will der frühere Erziehungsbeistand sein Gelände zugänglich machen. Aus seiner Arbeit mit schwer erziehbaren Jugendlichen wisse er, sagt der 62-Jährige, dass „sie kommunikativer und ansprechbarer werden, wenn sie draußen im Freien sind“.
Er selbst fühlt sich an seine Kindheit in einem anatolischen Dorf erinnert, er ist überzeugt, dass allen Kindern der Kontakt mit der Natur guttut. Grundschüler der Hainbachschule haben bei ihm unter Anleitung der Agendagruppe Streuobstwiesen Insektenhotels gebaut, im ungemähten Gras Fauna und Flora erkundet. Das würde er gern fortsetzen, außerdem die Wiese selbst samt der umgebenden Hecken bewirtschaften. Dazu brauche es das Häuschen, und „die alte Hütte hat doch auch niemanden gestört“, sagt Sümengen und schüttelt den Kopf.
Unmut und Kompromissvorschläge
Die mit ungefähr zwei Dutzend Bürgerinnen und Bürgern vertretene Öffentlichkeit schüttelte nicht nur den Kopf, sondern tat ausdrücklich ihren Unmut kund. In der starren Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zeige sich „das sture, dumme Deutschland“, wetterte ein Mann. Eine Frau forderte energisch eine Ausnahmeregelung, ein weiterer Mann einen Kompromiss: „Bestandsschutz für das Fundament, und die Hütte wird noch einmal etwas verkleinert.“ So und ähnlich äußerten sich noch mehr der Anwesenden. Einer trug ein Pappschild, auf dem er auf die Pflege von Streuobst und die nötigen Voraussetzungen hinwies.
Konflikt zwischen Landschaftsschutz und Bewirtschaftung
Selbst ein Vertreter des städtischen Baurechtsamts, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, räumte den Konflikt zwischen Landschaftsschutz und Bewirtschaftung ein, die doch einzig die zu schützende Landschaft erhält. Aber vom Naturschutz seien eben möglichst wenige Bauten über 20 Kubikmeter gewünscht. Auch Ministeriumsvertreter Kretzschmar ließ einer Verständnisbekundung („Emotional ist das wohl schwer nachvollziehbar“) ein großes Aber folgen: „Wenn diese Hütte genehmigt würde, wäre nach dem Prinzip ‚Gleiches Recht für alle’ das Landschaftsschutzgebiet tot.“ Sprich: übersät mit Gartenlauben.
Angesichts des bürgerschaftlichen Rechtsverdrusses ritt auch die Ausschuss-Obfrau Achterberg eine Lanze für Gesetz und Ordnung: „Das Naturschutzgesetz kommt allen zugute. Wir dürfen das nicht aushöhlen. Es gibt Beispiele von Landschaftsschutzgebieten, wo aus Geschirrhütten immer größere Häuser geworden sind.“ Derweil hätte sich Sümengen fast in noch eine Paragrafenfalle manövriert: Dass er beim Zusammenbruch der alten Hütte mehr als eine Tonne Asbest entsorgt habe, brachte ihm zwar den Applaus des Publikums ein. Aber auch den Rüffel eines weiteren Anonymus’ des Esslinger Grünflächenamts, dass sich hier ebenfalls die „Legalitätsfrage“ stelle. Asbestentsorgung ist nur Fachbetrieben gestattet.
Rettung durch Fledermäuse?
Am Ende resümierte Andreas Kenner für den Petitionsausschuss „bei aller Sympathie“ für Sümengens ideelle Motive: „Wir müssen uns an das Recht halten.“ Doch die Dissonanz zwischen Recht und Rechtsempfinden blieb unaufgelöst. Das Einzige, was die Hütte vor dem Naturschutz noch retten kann, ist der Naturschutz. An ihr nisten Fledermäuse. Sie sind streng artengeschützt.