Weil er einen Mitbewohner mit einer Klinge verletzt haben soll, muss sich ein 44-Jähriger vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Der Prozess wirft auch ein Licht auf das Leben osteuropäischer Arbeiter hierzulande.
Ein Konflikt eskaliert – mit schlimmen Folgen für die beiden Beteiligten. Im vergangenen Mai gerieten zwei alkoholisierte Bewohner vor einer Arbeiterunterkunft am Rande eines Esslinger Gewerbegebiets kurz vor 23 Uhr in einen heftigen Streit. Einer der Kontrahenten hat dabei ein Messer gezogen und mehrfach auf seinen Kollegen eingestochen, wie Videoaufnahmen zeigen. Nun muss sich der 44-Jährige, der kurz nach der Tat festgenommen wurde und seitdem in Untersuchungshaft sitzt, vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann versuchten Totschlag vor.
Das Opfer wird in Irland vermutet
Bereits zu Beginn der Verhandlung betonte der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann, dass ein Geständnis das Strafmaß senken könnte. Die Beweise gegen den Mann waren ohnehin erdrückend. Der Angeklagte folgte dem Rat und räumte die Vorwürfe weitgehend ein. Ebenfalls zugutekommen könnte ihm bei der Bemessung des Strafmaßes, dass er bisher noch nicht aktenkundig bei der deutschen Justiz ist. Hinzu kommt, dass der Geschädigte laut Gericht inzwischen in Irland vermutet wird. Es ist unwahrscheinlich, dass er noch als Zeuge aussagen wird. Daraus schloss die Kammer, dass das Interesse des Geschädigten an der Bestrafung des Angeklagten eher gering ist.
Der erste Verhandlungstag warf auch ein Schlaglicht auf die Lebensverhältnisse osteuropäischer Arbeiter in Deutschland. Zum Streit kam es in einer Unterkunft, in welcher sich Männer aus verschiedenen Nationen zahlreiche Zimmer teilen. Langeweile, Armut, Alkohol und beengte Wohnverhältnisse sind eine explosive Mischung. Der Angeklagte hat nach eigenen Angaben ein Zimmer mit zwei Kollegen bewohnt.
Aufgewachsen sei er in einem kleinen Dorf im Osten Rumäniens in ärmlichen Verhältnissen. Im Erwachsenenalter sei er immer wieder in verschiedenen Ländern im Garten- und Landschaftsbau, als Erntehelfer sowie als Bauarbeiter tätig gewesen – mal in Griechenland, dann in Italien, England oder Spanien. Im Jahr 2023 sei er in den Raum Stuttgart gekommen, um auf dem Bau zu arbeiten.
Langeweile, Armut und Alkohol
Das unstete Leben in der Fremde „versüßte“ sich der Angeklagte, ebenso wie sein Kontrahent, mit Alkohol und Zigaretten. Was genau zum Streit führte, blieb am ersten Verhandlungstag nebulös. Zunächst haben sich die Streithähne, die bis zu der Tat bereits ein Jahr zusammengearbeitet und gelebt haben, gegenseitig in der Gemeinschaftsküche beschimpft. Weil es schon spät war und die anderen Bewohner Ruhe wollten, habe man den Streit vor der Türe austragen wollen, so der Angeklagte. Wie die Aufnahmen einer Sicherheitskamera zeigen, ging der Angeklagte im Freien unvermittelt mit den Fäusten auf seinen Kollegen los. Im Zuge der Rangelei musste der Angreifer einige Schläge einstecken, bevor er das Messer aus seiner Tasche zog und wiederholt auf seinen Kollegen einstach. Der Rettungsdienst brachte den Mann in ein Krankenhaus. Die Verhandlung am Landgericht wird fortgesetzt.