Deutsche, türkische und Ditib-Fahne in Sindelfingen Foto: Stefanie Schlecht

Im Sindelfinger OB-Wahlkampf gerät das muslimische Milieu in den Fokus. Max Reinhardt umarmt dabei auch den einen oder anderen Wolf im Schafspelz, kommentiert Jan-Philipp Schlecht.

Die lokalpolitischen Unterschiede zwischen den Sindelfinger OB-Kandidaten Max Reinhardt und Markus Kleemann musste man im Wahlkampf mit der Lupe suchen. Doch auf den letzten Metern sorgt vor allem ein Thema für Gesprächsstoff: der Wahlkampf im muslimisch geprägten Teil der Stadtgesellschaft. Welche Sprengkraft das Thema hat, musste vor allem der 25-jährige Reinhardt am eigenen Leib erfahren.

Eine zeitgleiche Veröffentlichung im überregionalen Teil der Stuttgarter Nachrichten sowie vieler angegliederter Partnerzeitungen und Lokalausgaben lenkte einen scharfen und kritischen Blick auf Begegnungen der Kandidaten in diesem Milieu, das in Sindelfingen seit Jahren gedeiht.

Insbesondere Max Reinhardt tat sich dort im Wahlkampf hervor, lud zu einem eigenen Fastenbrechen neben der Ditib-Moschee ein, besuchte ein islamisches Frühlingsfest sowie – zeitweise – das große Fastenbrechen auf dem Marktplatz. Markus Kleemann war immerhin auch bei zwei Veranstaltungen dieser Art, lud aber selbst nicht ein und fuhr im Kielwasser der Stadtverwaltung.

Noch dazu folgte Max Reinhardt am vergangenen Wochenende der Einladung zum Kicken bei einem Deutsch-türkischen Kulturverein. Mehrere Fotos davon landeten auf Facebook, auf zweien davon steht Reinhardt, hoppla, neben einem glühenden Verehrer der türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe. Von der Begegnung sind keine Statements von ihm überliefert. Nur ein Eindruck bleibt: Sport und Geselligkeit. Was Reinhardt offenkundig unterschätzt hat, war die Signalwirkung der erzeugten Bilder. Sie beschwören zwar Gemeinsamkeit und Begegnung.

Markus Kleemann (l.), Bernd Vöhringer und Max Reinhardt (r.) Foto: Eibner

Nur, mit wem eigentlich? Denn, dass es im Umfeld der Sindelfinger Moschee durchaus auch sehr problematische Umtriebe gibt, dass sich da Organisationen tummeln, die als verlängerter Arm des Erdogan-Regimes in Deutschland gelten, hätte Reinhardt wissen müssen. Dass die gebotene Distanz beim geselligen Beisammensein in der öffentlichen Wahrnehmung leicht verloren gehen kann, auch. Kaum einer wird etwas einwenden gegen Dialog und Völkerverständigung. Davon muss es noch viel mehr geben. Vor allem aber im richtigen Rahmen, idealerweise moderiert, transparent gemacht und mit der richtigen Balance aus Nähe und Distanz.

Reinhardt ist ein fleißiger, ehrgeiziger Jungpolitiker, Jurist und Unternehmer, Kleemann ein engagierter Bürgermeister. Beide leben sie das Grundgesetz und demokratische Werte. Es ist ihnen abzunehmen, für diese Werte einzustehen. Beide Kandidaten führten auf ihre Weise einen leidenschaftlichen, ambitionierten Wahlkampf. Sie aber in die geistige Nähe eines intoleranten Islamismus zu rücken, wäre kompletter Blödsinn. Es mag Reinhardts sehr jungen 25 Jahren geschuldet sein, dass er bei den vielen, die er dabei herzlich umarmt hat, auch Wölfe im Schafspelz nicht aussortierte. Das war naiv und er musste erfahren, wie leicht man sich damit in die Nesseln setzen kann.

Der Vorgang in der Endphase des Wahlkampfs traf einen wunden Punkt in Sindelfingen: Wie viel Nebeneinander der Kulturen ist gesund? Wie viel Kritik verträgt der interkulturelle Dialog? Bei welchen Umtrieben fängt die Freundschaft an und bei welchen hört sie definitiv auf? Egal, wer von den beiden am Sonntag zum Oberbürgermeister in einer der reichsten Städte des Landes gewählt wird: Diese Fragen werden gewiss einen hohen Stellenwert genießen, der Dialog mit muslimischen Mitbürgern vermutlich ein anderer. Der Finger in der Wunde – er kann eine heilsame Wirkung entfalten.