In Baden-Württemberg wurde im vergangenen Jahr weniger eingebrochen. (Symbolbild) Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Innenminister Thomas Strobl ist sichtlich zufrieden mit dem neuen Sicherheitsbericht. Die Zahlen seien erfreulich. Doch wie aussagekräftig ist eine Kriminalitätsstatistik in einer Zeit von Lockdown und Home-Office?

Lockdown, Home-Office und Corona-Auflagen haben vielen Verbrechern auch im vergangenen Jahr einen Strich durch ihre kriminellen Pläne gemacht. Denn wenn die Geschäfte ihre Kunden stärker kontrollieren, wenn weniger Menschen durch die Straßen bummeln und deutlich mehr zu Hause arbeiten, bieten sich Dieben und Einbrechern auch weniger Möglichkeiten für die Beutezüge. Im zweiten Jahr der Pandemie weist die Statistik der Polizei daher nicht zuletzt auch wegen der Pandemie in vielen Kategorien bessere Zahlen aus.

Baden-Württemberg wir immer sicherer“, sagte auch Innenminister Thomas Strobl bei der Vorlage des Sicherheitsberichts am Montag in Stuttgart. Das liege zwar auch an der Pandemie, erklärte er. Sie habe den Trend aber nur verstärkt und sei nicht die einzige Ursache. Die Opposition im Landtag sieht das anders und wirft dem Minister vor, sich „mit Corona-Federn“ zu schmücken.

Niedrigster Kriminalitätsstand seit 36 Jahren

Kriminalität im Südwesten: Insgesamt schlagen Kriminelle laut Bericht seltener zu, die Zahl der Gesamtstraftaten in Baden-Württemberg bleibt rückläufig und lag im vergangenen Jahr mit 486.331 auf dem niedrigsten Stand seit 36 Jahren. Im Vergleich zum Vorjahr wurden damit rund zehn Prozent weniger Straftaten verzeichnet. Gleichzeitig werden rund zwei von drei Taten aufgeklärt (65,3 Prozent), das sei die beste Quote seit fast 60 Jahren, sagte Strobl. Sorgenkinder bleiben jedoch. Und die Gefahr lauert immer häufiger nur einen Mausklick entfernt.

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Cyberkriminalität: Die Zahl der Straftaten hat hier vor allem vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs einen Rekordwert erreicht. Nach Angaben des Innenministeriums wurden mehr als 10 700 Fälle registriert, das ist ein Höchststand. Mit mehr als 8000 Fällen fällt vor allem der Computerbetrug ins Gewicht. Besonders Delikte der Computersabotage haben demnach zuletzt stark zugenommen. Cyberkriminelle verschlüsseln etwa Dateien eines Unternehmens und fordern hohe Geldsummen für die Entschlüsselung.

„Die Coronapandemie hat wie ein Digitalisierungsbooster gewirkt, ein Konjunkturprogramm für das Digitale“, sagte Strobl. Kein Unternehmen bleibe verschont, es betreffe Großindustrielle ebenso wie niedergelassene Ärzte - und bei weitem nicht alle investierten ausreichend in den Schutz. Strobl warnte erneut vor der wachsenden Gefahr von Cyberangriffen nicht nur durch kriminelle Organisationen, sondern auch durch Staaten. Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz warnte: „Wir gehen nicht mehr von abstrakter Gefährdung aus, sondern von einer erhöhten Gefahr.“

Jede vierte Straftat begehen Diebe

Einbrüche: Sie brechen Türen auf, steigen durch Fenster ein oder nutzen die angelehnte Balkontüre - 3298 Mal stiegen Kriminelle in fremde Häuser, Wohnungen oder Büros ein, das ist so selten wie seit über 50 Jahren nicht und der siebte Rückgang hintereinander. Etliche Beutezüge bleiben allerdings erfolglos: Fast die Hälfte scheiterte bereits im Versuchsstadium, jede vierte Tat wurde aufgeklärt.

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Eigentumskriminalität: Nach wie vor sind Diebe verantwortlich für knapp jede vierte Straftat (23,3 Prozent). Die Zahl der Delikte liegt bei 113 535 Fällen, das sind 16 Prozent weniger als im Jahr zuvor - laut Innenministerium der tiefste Stand seit Mitte der 1960er Jahre. „Laden-, Taschen- und Trickdiebstähle gehen innerhalb von fünf Jahren sogar um rund 40 Prozent zurück“, sagte Strobl. Gründe seien auch die Corona-Auflagen für den Handel ebenso wie ausgefallene größere Veranstaltungen und Weihnachtsmärkte sowie Abstandsregelungen.

Gewalt in der Familie: Laut Kriminalitätsstatistik sind 13 239 Menschen Opfer von Gewalt durch den Partner oder die Partnerin geworden (minus 4,3 Prozent). Fast vier von fünf mutmaßlichen Tätern sind Männer. 21 Menschen starben im vergangenen Jahr durch die Hand des vertrauten Partners. Auch 1547 Kinder wurden Opfer von Gewalt in der eigenen Familie. Hier sinken die Zahlen zwar leicht, sie bleiben aber nach zwei deutlichen Steigerungen in den Jahren zuvor auf hohem Niveau. Beinahe jedes zweite Kind davon wurde körperlich leicht verletzt, 335 wurden Opfer sexuellen Missbrauchs im vertrauten Umfeld (plus knapp neun Prozent), 14 Jungen und Mädchen wurden getötet.

Falsche Polizisten und Enkel sorgen für Unruhe

Verbrechen im öffentlichen Raum: Die Zahlen fallen um 10 Prozent, ebenfalls unter anderem wegen der Pandemie. Im Vergleich zu 2020 seien in diesem Bereich vor allem die aggressiven Angriffe und die Rauschgiftkriminalität um jeweils rund 15 Prozent gesunken, hieß es.

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„Enkeltrick“ und „falsche Polizisten“: Nach deutlichen Steigerungen fallen die Zahlen auch im Bereich betrügerischer Anrufe wieder. Dabei rufen sogenannte falsche Polizisten vor allem bei Rentnern an und gaukeln ihnen vor, Hab und Gut seien durch Verbrecher bedroht. Oder es sind die angeblichen Enkel in Notlagen, die die Senioren um viel Geld bringen. Allen Warnungen und Kampagnen der Polizei zum Trotz hatte sich die Zahl der bekannten Fälle vor zwei Jahren fast verdoppelt, im vergangenen Jahr sank sie um rund 21 Prozent. Allerdings nahm der Gesamtschaden zu. „Glücklicherweise erkennen mehr als neun von zehn Angerufenen den Schwindel“, sagte Strobl.

Corona: Seit Beginn der Pandemie haben baden-württembergische Polizisten mehr als 2,32 Millionen Menschen und über 864 000 Autos oder Lastwagen kontrolliert, es wurden laut Statistik annähernd 387 000 Verstöße gegen die Corona-Auflagen festgestellt.

Opposition ist kritisch

Reaktionen: Während die CDU die neuen Zahlen ihres Parteifreundes Strobl als „Erfolgsbilanz“ lobt, wirft ihm die oppositionelle AfD vor, sich mit fremden Federn zu schmücken. Es sei eine Binsenweisheit, dass wegen Ausgangssperren und eingeschränkter Zulassung im Handel die Menschen mehr und öfter daheim seien – und es darum auch weniger Wohnungseinbrüche gebe, sagte der sicherheitspolitische AfD-Fraktionssprecher Hans-Jürgen Goßner.

„Naheliegend“ nannte das auch die FDP. Die steigende Bedrohung in der Cyberwelt forderte zudem eine bessere Präventionsarbeit und zusätzliche Cyberkriminalisten und IT-Fachkräfte in den Behörden, sagte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Julia Goll. SPD-Innenexperte Sascha Binder sieht Baden-Württemberg „noch nicht gut genug aufgestellt, um Cyberkriminalität effektiv zu bekämpfen“, während der Sprecher für Digitalisierung der Grünen-Fraktion, Peter Seimer, dazu aufrief, Wirtschaft, Behörden, Verbände und Forschung stärker einzubinden.

Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) gießt Wasser in den Wein: Die Zahlen wirkten zwar, als sei die Kriminalität zurückgegangen. Allerdings sei die Statistik von geringem Aussagewert. Viele Delikte seien nicht enthalten, darunter Verkehrssünden sowie Finanz- und Steuerbetrug. „Alle Experten sind sich einig, dass die tatsächliche Kriminalität, auch durch das sogenannte Dunkelfeld, erheblich höher ist“, sagte der DPolG-Landesvorsitzende Ralf Kusterer. „Sie wird nur nicht entdeckt.“ Polizisten seien erneut bis an die Obergrenze belastet gewesen. „Und die Wahrheit ist, dass einfach nicht mehr drin war“, sagte Kusterer.