Frankreich will als Innovationsstandort ganz nach vorne. Baden-Württembergische Gründer haben auf die sehr französische Kombination aus Glasfaser und Genusskultur geblickt – und auf einen französischen Präsidenten, der Start-ups als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit sieht.
Arbeiten wie Gott in Frankreich? Eine große Halle des weltweit größten Start-up-Zentrums Station F ist jedenfalls allein für den Genuss und das französische Savoir-vivre reserviert. Zwischen üppigen Pflanzen dienen bunt bemalte ausrangierte Eisenbahnwaggons in diesem umgebauten ehemaligen Frachtbahnhof im Herzen von Paris als kulinarische Anlaufstelle. Und auch das hoch wie die Halle ragende Regal für die Cocktail-Spirituosen ist so rekordverdächtig wie das Zentrum, das Platz für 1000 Firmen bietet. Ob Designercouch oder teure Kunstwerke: Das Leben ist nicht nur zum Arbeiten da, sondern auch zum Genießen, das ist die pariserische Botschaft.
Kreativität braucht nicht nur Effizienz
Erstmals nach der Coronakrise hatte sich die von der Landesregierung und einigen Sponsoren unterstützte „Bawükommt“-Start-up-Tour nach Paris aufgemacht – und lernte hier, dass Kreativität vielleicht mehr braucht als nur pragmatische Effizienz. „Da werden wir uns garantiert etwas davon abschauen“, sagt Yannick Haldenwanger, Delegationsteilnehmer aus Offenburg, der als Start-up-Experte dort gerade ein Gründerzentrum für die Region aufbaut.
Wie hoch das Thema in Frankreich politisch angesiedelt ist, zeigte die Tatsache, dass sich in der Schlussphase des Parlamentswahlkampfes im Land der französische Präsident Emmanuel Macron drei Stunden Zeit nahm, um die große Technologiemesse Vivatechnology zu besuchen, die in den vergangenen Jahren als zentrales Schaufenster für die neue Innovationskultur im Land propagiert wurde. Er habe in seiner fünfjährigen Amtszeit 25 französische Milliardenunternehmen aufbauen wollen, sagte Macron: „Wir haben 27 geschafft!“ Der Präsident setzte bei seinem Heimspiel in den Messehallen neue Ziele: „Bis 2030 sollen es hundert werden, davon 25 Prozent im Bereich grüner Technologie.“ Runde Zahlen, klare Ansagen.
Frankreich holt auf
Frankreich zeigt, wie dynamisch man beim Thema Start-ups aufholen kann, wenn die Politik das als absolute Priorität sieht. Seit etwa einem halben Jahrzehnt kommt Frankreich immer deutlicher auf die Start-up-Landkarte – und zeigt Deutschland einige Defizite auf.
Während in der Bundesrepublik die Spielregeln oft von Bundesland zu Bundesland verschieden sind und Berlin mit 16 Ländern um Kompetenzen rangelt, hat die französische Zentralregierung in dem traditionell als eher unternehmerfeindlich geltenden Land aus einer Hand systematisch Gesetze und Regularien gründerfreundlicher gestaltet, insbesondere auch für Entrepreneure aus dem Ausland.
Hilfe im Bürokratiedschungel
Eine Dachmarke namens French Tech wurde etabliert, mit Büros inzwischen überall im Land, die als erste Anlaufstelle Gründer durch den Dschungel der französischen Bürokratie führt. In allen für Gründer wichtigen Behörden sind Lotsen etabliert worden, die dafür sorgen, dass bei der Bearbeitung von Anliegen die spezielle Situation von Gründern berücksichtigt wird – und die dafür sorgen, dass die Sache schnell angepackt wird. „French Tech ist gerade für ausländische Gründer die eine, zentrale Anlaufstelle für alle Fragen“, sagt Eric Morand, für Start-ups zuständiger Experte der Wirtschaftsförderung Business France: „Das geht von der Bürokratie und dem Visum über die Arbeitserlaubnis für den Ehepartner bis zur internationalen Schule für die Kinder.“
Auch die Provinz profitiert
Zentrales Anliegen der nationalen Strategie ist es auch, den Gründergeist über Paris hinaus in die Fläche zu bringen. Und so hat sich in Frankreich inzwischen ein Start-up-Lebenszyklus ausgebildet, der in Deutschland so nicht nachzumachen ist: „Die ersten Ideen sammeln Gründer überall, auch in der Provinz. Zur Finanzierung, Inspiration, zum Netzwerken, zum Rekrutieren der ersten Arbeitskräfte gehen sie alle nach Paris. Und wenn es dann von der Kreation zur Produktion geht, wird dieser Bereich dann wieder in die Provinz ausgelagert, während das Kernteam in Paris bleibt“, sagt Paul de Rosen von der Gründerförderung A-Venture.
Schlüsselinfrastruktur Glasfaser
Und dank Telearbeit wird das zunehmend zu einem Modell, mit dem sich die Nachteile von Paris bei den Wohn- und Lebenshaltungskosten kompensieren lassen, ohne gleichzeitig die Vorteile einer pulsierenden Metropole zu verlieren, wo im Gegensatz zu Deutschland die gesamte für die Entwicklung von Start-ups relevante Infrastruktur für alle Technologien und Themengebiete an einem Ort zu finden ist. „Der entscheidende Vorteil von Frankreich ist, dass es wegen des guten Glasfasernetzes keine Rolle mehr spielt, wo jemand arbeitet“, sagt Sébastien Kaiser, Entwicklungschef des Pariser IT-Unternehmens Shadow.