In Stuttgart startet am Freitag die messerfreie Zone. (Symbolbild) Foto: dpa/Roland Halkasch

Messerangriffe erschüttern das Sicherheitsgefühl der Menschen immer wieder. Um solche Attacken zumindest zu reduzieren, will Stuttgart nun in der Innenstadt eine Messerverbotszone einrichten. Die Stadt betritt damit Neuland im Südwesten. Am kommenden Freitag geht es los.

Wer am Wochenende in der Stuttgarter Innenstadt ein gefährliches Messer mit sich trägt, muss künftig unter Umständen ein Bußgeld zahlen und das Messer abgeben. Damit will Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) Messerangriffe zumindest reduzieren. Sie passieren in Deutschland immer wieder: Zuletzt sorgte der Messerangriff auf Fahrgäste eines Regionalzuges in Schleswig-Holstein mit zwei Toten und mehreren Verletzten bundesweit für Entsetzen. Für seinen Vorschlag, Messer ab einer bestimmten Länge temporär an ausgewiesenen Orten zu verbieten, bekam Nopper (CDU) eine komfortable Mehrheit im Gemeinderat der Landeshauptstadt. 36 Stadträte stimmten Mitte Dezember für die Zone, 18 dagegen.

Warum ist Stuttgart Pionier bei messerfreien Zonen im Südwesten?

Stuttgart folgt nach Worten Noppers anderen Großstädten wie Hamburg, Köln oder Bremen, die gute Erfahrungen mit solchen Zonen gemacht hätten. Im Südwesten habe die Landeshauptstadt mit 600 000 Einwohnern als Oberzentrum für die Region mit 2,8 Millionen Einwohnern eine Sonderstellung. „Wir wollen dadurch sowohl die öffentliche Sicherheit als auch das Sicherheitsgefühl der Menschen verbessern.“ Aber ihm sind auch die Grenzen bewusst: „Wir werden mit einer Waffenverbotszone zwar nicht alle Messerdelikte verhindern können, wollen auf diesem Wege aber ihre Zahl wirksam reduzieren.“ Bei Geldbußen von bis zu 10 000 Euro bei mehrmaligem Verstoß sei auch eine präventive Wirkung zu erwarten.

Was soll untersagt werden?

Das Verbot zielt nicht auf das „Messer für das Vesperbrot“ ab, wie der Stuttgarter Polizeipräsident Markus Eisenbraun erläutert. Ordnungswidrig verhält sich aber jeder, der in der Verbotszone ein Messer mit einer feststehenden oder feststellbaren Klinge mit einer Länge über vier Zentimeter bei sich trägt. Bislang war nur das Mitführen von Messern mit einer Klingenlänge von mehr als zwölf Zentimetern verboten. Das Verbot soll auf freitags und samstags jeweils von 20.00 bis 06.00 Uhr begrenzt sein. An Tagen vor Feiertagen gilt es ebenfalls.

Für welches Gebiet gilt die Verordnung?

Eigentlich gibt es zwei Zonen, die aber nur eine Katzensprung voneinander entfernt sind, den Cityring und den Stadtgarten. Als Verbotszonen werden sie aber nicht markiert. „Unter rechtlichen Aspekten genügt die Bekanntgabe im Amtsblatt“, erläutert eine Stadtsprecherin. Man verzichte auf das Aufstellen von Schildern, weil davon eine abschreckende Wirkung auf das allgemeine Publikum ausgehen könnte. Mobile Jugendarbeit, Polizei und Stadt werden mit Flugblättern und auf digitalen Kanälen über die neue Regelung informieren. Sozialarbeiter setzen speziell Jugendliche schon vor dem Start von der neuen Rechtslage in Kenntnis.

Was passiert mit den gefundenen Messern?

Bei Streifengängen von Polizei oder kommunalem Ordnungsdienst entdeckte illegale Messer sollen - anders als bisher - einbehalten werden können. „Wir wollen aber nicht mit dem Röntgenblick durch die Stadt laufen, um unsere Asservatenkammer aufzufüllen“, versichert Eisenbraun mit Blick auf Mutmaßungen, es würden künftig mehr Polizeikontrollen vorgenommen. Für den Beamten ist das Verbot nur ein Baustein einer Sicherheitsarchitektur wie die Videoüberwachung, die bereits am Schlossplatz eingesetzt wird. Es werde keine gesonderten Kontrollen auf Waffen geben, versichert auch die Stadt.

Was bemängeln die Kritiker?

FDP-Fraktionschefin Sibel Yüksel meint, der Vorstoß des OB habe sowohl dem Image der Stadt als auch dem Sicherheitsgefühl der Bürger geschadet. „Man hat den Eindruck, als ob man sich nicht mehr in die Innenstadt trauen könnte“. Dabei sei Stuttgart doch die siebtsicherste Großstadt Deutschland. Auch die SPD hält eine Verschärfung angesichts der Datenlage für unverhältnismäßig. Die CDU schüre Ängste, indem sie etwa mit dem Bild einer dunklen Gestalt mit Messer für eine Veranstaltung zum Thema geworben habe. „Das macht was mit den Leuten“, meint Fraktionschefin Jasmin Meergans. Aus Sicht der Fraktionsgemeinschaft Linke SÖS Piraten Tierschutzpartei verhindern Waffenverbotszonen Kriminalität nicht, sondern seien ein Versuch der Polizei, rechtsfreie Räume zu schaffen, unter anderem für Racial Profiling, also das repressive Agieren von Sicherheitskräften aufgrund von Merkmalen wie Herkunft oder religiöse Zugehörigkeit.

Was geben die Zahlen her?

In der Landeshauptstadt weist die Polizeiliche Kriminalstatistik mit 50 Fällen 2021 in der potenziellen Verbotszone ein Fünfjahrestief bei den Delikten mit dem Tatmittel Messer aus. 2018 lag dieser Wert bei 61. Diese Zahlen werden bei der Abgabe von ausermittelten Fällen an die Staatsanwaltschaften erhoben. Aus Sicht der Kritiker lassen sich auf dieser Grundlage keine Verbotszonen rechtfertigen.

Was hat es mit dem Lagebild auf sich?

Aus Sicht Noppers ist aber das Lagebild entscheidend. Dieses berücksichtigt nicht nur Straftaten, sondern auch Ordnungsstörungen und sonstige relevante Vorkommnisse mit Messern. Dem Lagebild zufolge ergibt sich zwischen März 2021 und März 2022 ein Wert von 256 Fällen mit Messern - das Fünffache des Werts, die die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst. Nach Worten Eisenbrauns lag der Anstieg der Messerdelikte im ersten Halbjahr 2022 im zweistelligen Prozentbereich.

Gibt es Ausnahmen?

Ja, Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte dürfen Werkzeuge oder Waffen für ihre Arbeit auch auf dem vom Verbot betroffenen Gelände benutzen. Menschen, die dort wohnen, können Messer nach oder von Zuhause transportieren, sofern sie verpackt oder verschlossen sind. Weitere Ausnahmen: Mitarbeiter von Post- oder Transportunternehmen und Menschen mit „Kleinem Waffenschein“.

Wie lang soll die Verordnung gelten?

Solang sie für effektiv erachtet wird. Wissenschaftler sollen die Maßnahme begleiten und eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten eine Evaluation vorlegen. Nach zwei Jahren tritt die Verordnung außer Kraft, sofern der Gemeinderat nicht anders entscheidet.