Von Wintersportatmosphäre ist in Oberstdorf nichts zu spüren. Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Ohne Kunstschnee wäre die Vierschanzentournee längst nicht mehr denkbar. Wie lange kann sich die Sportart angesichts des Klimawandels noch als Wintersportart halten?

Wenn man in diesen Tagen nach Oberstdorf hereinfährt, ziehen die Skisprungschanzen am Schattenberg noch mehr als sonst den Blick auf sich. Zwischen grünen Wiesen und graubraunen Häusern strahlt die Zunge des mit Schnee präparierten Schanzenauslaufs in gleißendem Weiß. Genau wie das Auftaktspringen am Donnerstag (16.30 Uhr/ZDF und Eurosport) sind auch die restlichen drei Konkurrenzen der 71. Vierschanzentournee gesichert. Obwohl beispielsweise rund um das traditionelle Neujahrsspringen von Garmisch-Partenkirchen frühlingshafte 12 Grad plus vorhergesagt sind und anderswo in Deutschland sogar bis zu 20 Grad.

Wie hoch ist der Energieaufwand?

In der Kälteperiode im Dezember konnte an allen vier Orten genug Kunstschnee produziert werden, „mit minimalem Energieaufwand“, wie Tournee-Präsident Dr. Peter Kruijer eiligst hinzufügt. Die Organisatoren von Wintersport-Veranstaltungen wie der Vierschanzentournee sind nämlich durch die mit dem Ukraine-Krieg verbundene Energiekrise noch mehr unter Druck geraten. Neben den immer wärmer werdenden Wintern schaut die zum Stromsparen aufgeforderte Öffentlichkeit genau darauf, wie viel Energie durch die Produktion von Schnee und das Flutlicht „verbrannt“ wird.

„Die Beschneiung einer Schanze kostet laut Betreiber derzeit etwa 150 000 Euro“, weiß Horst Hüttel, der im Deutschen Skiverband (DSV) für Skispringen und nordische Kombination zuständig ist. Steigen die Preise weiter, kann dies auch für Organisatoren von Wintersport-Großveranstaltungen existenzbedrohend werden. Lohnt sich dieser Aufwand in Zeiten von Klima- und Energiekrise noch? Der Saisonauftakt der Skispringer Anfang November in Wisla hat bewiesen, dass es auch anders geht: In Polen wurde erstmals bei einem Weltcup auf Kunststoffmatten gelandet. Der Großteil der Skisprung-Szene hat diesen Schritt mitgetragen, auch wenn er für viele wie Karl Geiger ziemlich gewöhnungsbedürftig war.

Geiger kann sich die Tournee auf Matten nur „schwer vorstellen“

Dass die Vierschanzentournee als größtes Traditionsevent im Skispringen im „grünen Matten-Gewand“ statt in Weiß daherkommt, kann sich der Ur-Oberstdorfer Geiger weiterhin „schwer vorstellen. Da hätte ich mit Sicherheit melancholische Gefühle, weil zu diesem Traditionsevent zum Jahreswechsel ganz einfach Schnee gehört. Außerdem wäre es nicht so einfach, das Ganze auf Matten durchzuziehen. Wenn man die Schanze wintertauglich macht, werden Netze über die Matten gespannt und das Wasser wegen der Frostgefahr abgestellt. Wenn man das nicht tut und es schneit dann, sammelt sich der ganze Schnee im Auslauf, und es wäre schwer, die Schanze dann sprungfertig zu bekommen.“

Die Entscheidung, ob man die Tournee ohne Schnee durchzieht, müsste also sehr früh getroffen werden. Auch die deutsche Skisprung-Legende Martin Schmitt sieht eine Tournee ohne Schnee in nächster Zeit noch nicht kommen. „In den nächsten zehn Jahren werden sie es sicher mit dem Schnee noch hinbekommen. Man darf die Macht der Bilder im Fernsehen nicht unterschätzen. Zum Skisport und zum Skispringen gehört einfach Schnee“, sagt der 44-Jährige, der bei der Tournee als TV-Experte für Eurosport arbeitet: „Und so ein Aufsprunghang kann ja auch mit relativ wenig Aufwand mit Schnee präpariert werden – ganz im Gegensatz zu einer alpinen Abfahrt wie der Streif.“

Diskussion seit 20 Jahren

Schmitt erinnert sich, dass schon im Winter 2000/2001 über eine Vierschanzentournee ohne Schnee diskutiert wurde, nachdem nach dem Weltcup-Auftakt im finnischen Kuopio alle Weltcups wegen Schneemangels abgesagt werden mussten. Der damalige Tournee-Präsident Hans Ostler wischte die Gedanken an eine Tournee ohne Schnee vor inzwischen über zwei Jahrzehnten mit Blick auf das für die bessere Gleitfähigkeit der Landematten nötige Wasser weg: „Wer sich nur ein wenig mit Skispringen befasst hat, dem ist bekannt, dass bei möglichem Frost im Winter nicht auf Matten gesprungen werden kann.“

Inzwischen wird über diese Alternative im internationalen Skiverband Fis viel ernsthafter nachgedacht, zumindest, was die Zukunft des gesamten Skisprung-Weltcups betrifft. „Es gibt Ideen und Diskussionen, zumindest in den Herbst reinzugehen“, verrät Stefan Horngacher. Man könne auch die Sommer-Grand-Prix-Serie der Skispringer zum Weltcup machen – schließlich würden die Skispringer beim Grundlagentraining im Sommer „gemacht“. Und seien deshalb ohnehin Sommer- und Wintersportler. Laut Horngacher sind die Skispringer für alle Probleme der Klima- und Energiekrise gerüstet und könnten unter allen Bedingungen fliegen: „Ob Tag, Nacht, Sommer oder Winter – es ist alles egal.“ Nur der (Kunst-)Schnee bei der Vierschanzentournee scheint noch unverzichtbar . . .