Prozess vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht: Wegen des hohen Streitwerts sind auch die Anwaltskosten sehr hoch. Foto: imago/Horst Rudel

Für mindestens einen der ehemaligen Mitarbeiter der SWBB hat die hohe Schadensersatzforderung Folgen, obwohl sie erfolglos war. Seine Anwaltskosten sind etwa so hoch wie das Durchschnitts-Jahreseinkommen in Deutschland.

Man stelle sich Folgendes vor: Ein Arbeitgeber verklagt ehemalige Mitarbeiter auf Schadensersatz in Millionenhöhe. Die Klage wird vom Gericht als ungerechtfertigt abgeschmettert – und dennoch müssen die ehemaligen Mitarbeiter für die eigenen Anwaltskosten aufkommen, die sich auf einen mittleren fünfstelligen Betrag belaufen.

Der Fall ist keine Fiktion, sondern Realität. Vier ehemaligen Mitarbeitern unterstellen die Stadtwerke Bietigheim-Bissingen (SWBB), durch nicht ausreichende Energieeinkäufe einen Millionenschaden verursacht zu haben. Wie hoch der Schaden tatsächlich ist, ist nach wie vor unklar. Unter dem Hinweis auf laufende Verfahren – denn die schriftlichen Urteilsbegründungen liegen noch nicht vor – möchten sich weder die Verantwortlichen der Stadtwerke noch der Oberbürgermeister der Stadt Bietigheim-Bissingen, Jürgen Kessing, als Aufsichtsratsvorsitzender der SWBB dazu äußern. Lange Zeit wurde der Schaden auf rund 3,4 Millionen beziffert, dann auf neun Millionen. Zur Ermittlung der Schadenshöhe waren eigens Gutachter beauftragt worden.

Bietigheim-Bissingens OB Jürgen Kessing will sich zu dem laufenden Verfahren nicht äußern. Foto: www.imago-images.de/IMAGO/Chai von der Laage

Vor dem Arbeitsgericht zahlt jeder selbst

Vor Gericht ging es in den drei am Dienstag letzter Woche verhandelten Fällen um Streitwerte von insgesamt 12,8 Millionen Euro – zweimal gut 4,7 Millionen, einmal stark 3,4 Millionen. Und da sich Anwaltshonorare stets an der Höhe des Streitwerts orientieren, sind sie in allen Fällen horrend. Nun ist es normalerweise so, dass die unterlegene Partei auch die Anwaltskosten der anderen Seite zu tragen hat. Doch es gibt eine Ausnahme: Vor dem Arbeitsgericht zahlt jeder seine Kosten in erster Instanz selbst. Lediglich die Gerichtskosten muss der Verlierer, in diesem Fall die SWBB, komplett übernehmen.

Die Intention dieser Ausnahme ist eigentlich eine gute: Arbeitnehmer, die ihr – tatsächliches oder angenommenes – Recht vor Gericht geltend machen wollen, sollen nicht aus Angst vor einem möglicherweise hohen Kostenerstattungsanspruch auf einen Prozess gegen den wirtschaftlich stärkeren Arbeitgeber verzichten. Und normalerweise, sagt ein Sprecher des Stuttgarter Arbeitsgerichts, gehe es bei Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht auch nicht um solche Streitwerte wie im Fall der SWBB, das heißt, die Anwaltskosten – wenn man einen Anwalt hinzuzieht – sind deutlich geringer.

 

Anwaltskosten von mehr als 52 000 Euro

Zumindest einer der vier Ex-Mitarbeiter sieht sich nun aber wegen dieses Sonderfalls beim Arbeitsgericht hohen Anwaltskosten von mehr als 52 000 Euro gegenüber. Dass sowohl seine fristlose Kündigung nach mehr als 15 Jahren Betriebszugehörigkeit als auch die Schadensersatzforderung vom Richter als ungerechtfertigt bezeichnet wurde und er somit den Prozess gewonnen hat, nützt ihm leider nichts. Denn der Mann hat weder eine Rechtsschutzversicherung, die für das Honorar aufkommen würde, noch ist er Mitglied einer Gewerkschaft, die ihm ebenfalls finanziell zur Seite stehen könnte. Das sagt zumindest Christian Mall, der früher ein Arbeitskollege des Mannes war und mit ihm befreundet ist. Der betroffene Ex-Mitarbeiter selbst möchte sich zu der ganzen Angelegenheit nicht äußern.

„Er hat sich stark zurückgezogen. Ich glaube, es geht ihm derzeit nicht gut“, sagt Mall. „Das alles hat ja jetzt über ein Jahr gedauert. Und das hat viel Kraft gekostet und ihn ein Stück weit von den Füßen geholt.“ Wenn jetzt noch solche Kosten hinzukämen, mache er sich wirklich Sorgen um seinen Freund.

Die Kosten der Stadtwerke-Anwälte zahlt das Unternehmen

Von den Stadtwerken Bietigheim-Bissingen gibt es auch dazu keine Stellungnahme. Und vonseiten der Stadt kommt auf die Frage, ob den Verantwortlichen die Folgen der Prozesse für die Mitarbeiter bewusst gewesen seien und in Kauf genommen wurden, lediglich die lapidare Gegenfrage: „Sollen Schuldfragen und andere Rechtsfragen nur dann geklärt werden, wenn die Beschuldigten reich sind beziehungsweise eine Rechtsschutzversicherung haben?“

In diesem Fall ist die Sachlage allerdings eine besondere. Nach Informationen unserer Zeitung soll es nämlich schon vor Beginn der Auseinandersetzung den dringenden anwaltlichen Rat an die SWBB-Verantwortlichen gegeben haben, diesen Prozess erst gar nicht zu führen. Auch in der Güteverhandlung hatte der Richter deutlich gemacht, dass die Forderung der Stadtwerke völlig ungerechtfertigt und die Klage aussichtslos sei. Dennoch entschieden sich die Verantwortlichen dazu, diese durchzuziehen. Für sie ist, das, anders als für die ehemaligen Mitarbeiter, gefahrlos: Die Kosten trägt das Unternehmen.