Der Armlehnenstuhl wurde vom Düsseldorfer Architekten Paul Schneider entworfen. Foto: Stadtmuseum/oh - Stadtmuseum/oh

Gemeinsam mit dem bekannten Architekten Egon Eiermann hat die Esslinger Firma Wilde + Spieth im Jahr 1948 begonnen, Sitzmöbel zu produzieren. Anfang der 60er-Jahre arbeitete das Esslinger Unternehmen mit dem Düsseldorfer Architekten Paul Schneider von Esleben zusammen. Der von ihm entworfene Armlehnstuhl ist jetzt im Stadtmuseum zu sehen.

EsslingenEr gilt als einer der bekanntesten Architekten der Nachkriegsmoderne. Und er sollte dem Esslinger Handwerksbetrieb Wilde + Spieth eine völlig neue Ausrichtung geben. Mit der legendären Frage „Kinderchen könnt ihr eigentlich auch Stühle bauen?“ hatte sich Egon Eiermann 1948 an den Rolladenbauer gewandt. Fortan konzentrierte sich die Firma auf die Herstellung von Sitzmöbeln und nahm die Entwürfe weiterer moderner Architekten ins Programm. Anfang der 60er-Jahre arbeitete das Esslinger Unternehmen mit dem Düsseldorfer Architekten Paul Schneider von Esleben zusammen. Der von ihm entworfene Armlehnstuhl steht im Juni im Stadtmuseum im Fokus. Museumsvolontär Dominik Schätzle hat sich aber nicht nur das metallene Sitzmöbel angeschaut, sondern auch die Geschichte der Firma erforscht.

Schreinermeister Wilhelm Ludwig Spieth hat im Jahr 1831 den Grundstein der Firma gelegt. 1912 stößt der Ingenieur Richard Wilde hinzu. Seitdem führt der Betrieb den heutigen Namen. Hauptgeschäftsfeld nach dem Ersten Weltkrieg ist der Bau von Klapp- und Rollläden. Dieser Geschäftszweig wird nach 1945 fortgeführt. Doch die ersten Nachkriegsjahre sind nicht einfach. Auf der Suche nach weiteren Produkten nimmt Wilde + Spieth kurzzeitig auch eigene Holzspielwaren ins Sortiment auf. Der endgültige Durchbruch gelingt der Firma jedoch mit der Produktion von Stühlen.

Erster Auftrag für Wilde und Spieth

Als Egon Eiermann im Jahr der Währungsreform die alles entscheidende Frage stellt, leidet das Land noch unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs, Wohnraum ist Mangelware. Denn in den kleinen Wohnungen gibt es keinen Platz mehr für wuchtige Möbelstücke. So werden in Musterwohnungen Möbel gezeigt, die leicht, beweglich und raumsparend sind. Für die Ausstellung „Wie wohnen?“, die 1949 in Stuttgart und Karlsruhe gezeigt wird und ihren Schwerpunkt im sozialen Wohnungsbau hat, entwirft Egon Eiermann die Einrichtung für eine Vier-Zimmer-Wohnung. Wilde + Spieth bekommt den ersten Möbelauftrag.

Da die Ökonomie für Egon Eiermann „Bestandteil der Ästethik“ ist, läuft bei Wilde + Spieth die Serienproduktion an. Dabei fordert der Architekt von allen Beteiligten – vom Kaufmann bis zum Konstrukteur – höchste Leistungen. Es wird so lange getüftelt und gefeilt, bis das jeweilige Modell „gut, schön und billig“ ist. Der Esslinger Handwerksbetrieb verbessert stetig seine Produktionsanlagen. Experimente werden so lange wiederholt, bis zwischen Eiermanns Formvorstellungen und der Grenze der Materialbelastbarkeit das Optimum erreicht wird.

1950 hat die Firma bereits sieben verschiedene Eiermann-Serienmodelle im Programm. Bis zum Tod des Architekten im Jahr 1970 sind es mehr als 30. Vor allem seine in den Anfangsjahren entwickelten Sitzmöbel werden zu Klassikern der Nachkriegsmoderne. So ist fast jeder, wenn auch oft unbewusst, schon einmal auf einem Eiermann-Stuhl gesessen: sei es in der Kirche, an der Uni, in einer Cafeteria oder einem Vortragssaal. Die von Eiermann entworfene, 1961 eingeweihte neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin ist selbstverständlich ebenfalls mit Sitzmöbeln made in Esslingen ausstaffiert. Die Nachfrage nach Eiermann-Stühlen steigt so stark, dass Wilde + Spieth Anfang der 60er-Jahre eine neue Fabrik bauen muss und die Fertigung von Rollläden endgültig einstellt. Beflügelt durch den Erfolg gewinnt die Firma weitere moderne Architekten als Designer – so auch Paul Schneider von Esleben.

Schneides Sohn Florian ist Mitbegründer der band Kraftwerk

1915 als Spross einer Architektenfamilie in Düsseldorf geboren, „prägt er in den 50er- und 60er-Jahren die Nachkriegsmoderne“, weiß Dominik Schätzle. Das 1970 vollendete Terminal 1 des Flughafens Köln-Bonn gehört zu den berühmtesten Werken Schneider-Eslebens, der neben Möbeln und Gebäuden auch Schmuck entworfen hat. Seine kreative Ader vererbte er seinen Kindern. So ist Sohn Florian Fischer Mitbegründer der berühmten deutschen Band Kraftwerk. Der um 1960 von Paul Schneider von Esleben entworfene Metallstuhl, den das Stadtmuseum jetzt zeigt, besteht aus einem geschweißten Metallgerüst, das mit Teakholz veredelt wurde. Die metallenen Stäbe sind gebogen und schwarz eingefärbt. Für weitere Akzente sorgen die dunkelbraunen, abgerundeten Armlehnen aus Teakholz sowie das Rohrgeflecht, mit dem Sitzfläche und Rückenlehne bespannt sind.

Auf gutes Design und Handarbeit wird bei der Firma Wilde + Spieth bis heute Wert gelegt. Produziert wird inzwischen zwar in Stendal in Sachsen-Anhalt. Der Firmensitz ist jedoch noch immer in der Plochinger Straße in Oberesslingen. „Die Firma hat auch schwere Zeiten hinter sich“, berichtet Dominik Schätzle. Denn 2004 musste das Esslinger Traditionsunternehmen, aus dem mit Spieth Gymnastics einer der weltweit bekanntesten Sportgerätehersteller hervorgegangen ist, Insolvenz anmelden. Die Kaufgewohnheiten einiger Großkunden hatten sich geändert. So setzten damals Behörden vermehrt auf Billigmöbel anstatt auf hochpreisiges Qualitätsmobiliar. Dass die Firma die Krise überwunden hat, ist zum einen ihrer Spezialisierung auf Orchesterstühle, Notenpulte und sonstige Utensilien für Musiker zu verdanken. Zum anderen profitiert Wilde + Spieth vom Trend zu qualitativ hochwertigen Produkten. Um beim Design Maßstäbe zu setzen, ist das Unternehmen seiner Linie treu geblieben und arbeitet nach wie vor mit namhaften Architekten wie Daniel Libeskind zusammen.

Unter dem Titel „Historische Schätze“ stellt die Eßlinger Zeitung Objekte und Neuerwerbungen der Städtischen Museen Esslingen, oder auch Schenkungen an die Ausstellungshäuser vor. Zudem werden Schätze aus dem Fundus des Stadtarchivs und des Esslinger Geschichts- und Altertumsvereins präsentiert. Der Stuhl der Esslinger Firma Wilde + Spieth ist in diesem Monat im Gelben Haus am Hafenmarkt zu sehen.