Die Kreuzbänder verleihen dem Knie Stabilität. Wenn eines reißt, muss es häufig operiert werden. Foto: Adobe Stock_Aggi Schmid

Für Sportler ist ein Kreuzbandriss eine der schlimmsten Verletzungen. Wie er passiert und wie die Behandlung abläuft, erklärt Marc Patrick Fehrenbach.

Seit Jahresbeginn ist der Kniespezialist als Oberarzt an der Medius Klinik Ostfildern-Ruit tätig. Die Behandlung der Kreuzbandrisse bezeichnet der erfahrene Orthopäde im Interview als wachsendes Tätigkeitsfeld.

Knieschmerzen können verschiedene Ursachen haben. Welche sind die häufigsten?

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Ursachen – funktionelle und strukturelle Beschwerden. Funktionell bedeutet, dass das Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen, also vom Bandapparat, nicht zusammenpasst. Das kann haltungsbedingt sein, weil Muskeln nicht ausreichend ausgebildet sind oder man aufgrund von Schmerzen eine Schonhaltung einnimmt. Strukturelle Ursachen sind beispielsweise ein gerissener Meniskus oder ein gerissenes Kreuzband.

Welche Funktion haben Kreuzbänder?

Sie haben vor allem eine Stabilisierungsfunktion zwischen Ober- und Unterschenkel. Das vordere Kreuzband verhindert, dass der Schienbeinkopf nach vorne wegrutscht, das hintere Kreuzband verhindert ein Wegrutschen des Schienbeinkopfes nach hinten. Zusätzlich bieten sie Rotationsstabilität, vor allem zur Begrenzung der Innenrotation. Ein typischer Verletzungsmechanismus wäre eine Kombination aus Verdrehen und Einknicken im Kniegelenk.

Es gibt ein inneres und äußeres Kreuzband. Wo ist die Verletzung schlimmer?

Wir sagen eher hinteres und vorderes Kreuzband. Verletzungen durch Rotation treffen eher das vordere Kreuzband. Das ist die häufigere Verletzung bei Sportlern. Sie kann auch ohne Gegnereinfluss stattfinden. Die hintere Kreuzbandverletzung ist seltener und läuft anders ab. Sie gilt als Hochrasanzverletzung. Typisch wäre ein Verkehrsunfall, bei dem man auf das Armaturenbrett prallt. Im Sport kann es eine Torhüterverletzung sein, wenn ein anderer Spieler direkt von vorne kommt. So eine Verletzung am hinteren Kreuzband kann oft konservativ behandelt werden. Bei der vorderen Kreuzbandverletzung ist das nicht so. Jüngere und sportlichere Menschen werden operiert.

Konservativ heißt Physiotherapie?

Ja. Zunächst kommt eine Schiene zum Einsatz, um den Schienbeinkopf in die richtige Position zu führen. Im Nachgang gibt es Physiotherapie unter speziellen Voraussetzungen; beispielsweise muss sie bei der hinteren Kreuzbandverletzung in Bauchlage erfolgen, damit der Schienbeinkopf nicht nach hinten wegrutscht.

Fußballspieler sind die klassischen Kandidaten für die Kreuzbandverletzung. Welche Sportler sind noch betroffen?

Eigentlich alle Stop-and-Go-Sportarten, also diejenigen, die mit schnellem Stoppen und Richtungswechsel verbunden sind. Das trifft auf die meisten Ballsportarten zu. Etwa beim Handball oder Basketball ist es typisch, dass man dem Gegner ausweichen will. Außerdem sind Skifahrer betroffen. Bei schlechter Sicht oder unebenem Untergrund wird ein Ski verrissen – schon ist es passiert.

Den Riss merkt man vermutlich sofort?

Die meisten Patienten merken es gleich, dass sich das Knie ungünstig bewegt hat. Außerdem entsteht schnell eine Schwellung.

Wenn ein Patient mit Verdacht auf Kreuzbandriss zu Ihnen kommt, wie ist Ihr Vorgehen?

Neben der inspektorischen Untersuchung, bei der man zum Beispiel den Erguss klar erkennt, gibt es verschiedene Tests. Einer wäre beispielsweise der Schubladentest. In um 90 Grad gebeugter Stellung des Gelenks wird geprüft, ob es einen festen Bandanschlag gibt. Das geht direkt nach der Verletzung auf dem Platz am besten, denn danach ist es aufgrund von Schmerzen und zunehmender Schwellung zunehmend schlechter beurteilbar. Die Überprüfung macht später häufig erst nach der Abschwellung Sinn. Mit einem weiteren Test wird die Rotationsstabilität überprüft.

Wie schnell sollte behandelt werden?

Es gibt zwei Zeitpunkte, zu denen die Verletzung sinnhaft operativ versorgt werden kann. Nach 24 bis 48 Stunden – so erfolgt es meist beim Profi. Eine wichtige Untersuchungsmethode ist das MRT für uns. Ein Amateursportler bekommt dafür aber erst zwei oder drei Wochen nach der Verletzung einen Termin. Das ist nicht schlimm, denn dann ist das Gelenk wieder abgeschwollen und man kann geplant drei oder vier Wochen nach der Verletzung operieren. Man hat festgestellt, dass die Ergebnisse schlechter wären, wenn man bereits eine Woche nach der Verletzung operieren würde, weil das Knie dann oft noch gereizt, geschwollen und dadurch weniger beweglich ist.

Wie läuft so eine Operation ab?

Es gibt verschiedene Techniken. Die weltweit üblichste ist, dass man eine körpereigene Sehne aus der Rückseite des Oberschenkels entnimmt. Aus dieser wird das Kreuzband plastisch geformt. Für die Verankerung gibt es wiederum unterschiedlichste Mechanismen. Da das Kreuzband innen liegt, müssen zunächst über eine Gelenkspiegelung Bohrkanäle angelegt und dann das Transplantat über diese Kanäle eingezogen werden.

Ist die Gefahr groß, dass ein operiertes Band erneut reißt?

Wenn so eine Struktur schon mal verletzt war, gibt es ein gewisses Risiko. Deshalb kommt es darauf an, auch Risikofaktoren zu beachten. Wenn jemand beispielsweise eine X-Bein-Achse hat, wird die erneute Verletzung begünstigt.

Wie viele Kreuzbänder operieren Sie pro Jahr in Ruit?

Da ich erst seit Jahresbeginn an der Medius Klinik in Ruit bin, , entwickeln sich die Zahlen stetig nach oben. Pro Monat operieren wir derzeit eine zweistellige Zahl an Kreuzbandrissen mit deutlich steigender Tendenz. In der Sportklinik hatte ich drei bis vier Kreuzband-OPs pro Tag.

Wie viele dieser OPs haben Sie persönlich schätzungsweise bereits gemacht?

Puh. Die genaue Zahl kann ich Ihnen nicht sagen, aber mit Sicherheit in Richtung Tausend.

Was ist nach der OP wichtig, um die Funktion des Knies wiederherzustellen?

Die Operation findet entweder ambulant statt oder die Patienten sind ein oder zwei Tage in der Klinik. Das wird fallabhängig entschieden. Normalerweise gehen sie dann mit Teilbelastung zwei Wochen an Gehstützen. Wir verordnen außerdem für sechs Wochen eine bewegliche Schiene beziehungsweise Orthese. Anschließend geht es darum, die Muskulatur wieder aufzubauen. Die Physiotherapie dauert nach so einer Kreuzbandverletzung mehrere Monate.

Wie lange dauert die Heilung? Schätzungsweise gibt es auch da Unterschiede zwischen Profi- und Freizeitsportlern?

Absolut, denn es hängt davon ab, wie intensiv man Physiotherapie bekommt. Profis haben darauf täglich Zugriff. Trotzdem schaffen sie es frühestens fünfeinhalb bis sechs Monate später wieder auf den Platz. Prominentes Beispiel ist Sami Khedira, der sich vor der WM 2014 das Kreuzband gerissen hat und rechtzeitig zum Turnier wieder fit war. Das war nach fünfeinhalb Monaten schnell, aber bei ihm hat es funktioniert . Ein junger, trainierter Amateursportler mit viel Trainingsehrgeiz kann es in acht bis zehn Monaten nach Verletzung schaffen. Aber zwölf Monate Sportpause nach der Verletzung ist nicht unüblich.

Gibt es langfristige Auswirkungen eines Kreuzbandrisses?

Egal welches Kreuzband verletzt ist, stellt das für das Kniegelenk eine sogenannte Präarthrose dar. Durch die Verletzung beginnt ein Verschleißprozess. Wie schnell und ausgeprägt sich das fortsetzt, kann niemand prognostizieren. Es gibt 20-Jährige, die eine Kreuzbandruptur erleiden, gut versorgt werden und jahrzehntelang ohne Einschränkung Sport machen.

Wie kann man einem Kreuzbandriss vorbeugen?

Damit einem so eine Verletzung erspart bleibt, kann man die Beugemuskulatur des Oberschenkels stärken und es hilft, ein bestimmtes Koordinationstraining zu machen. Auch das sogenannte propriozeptive Training hilft – also die Wahrnehmung des Gelenks, der Sehnen und der Muskulatur. Beispielsweise hat die Deutsche Kniegesellschaft ein öffentlich zugängliches Programm für Sportler. Bei Stop-X geht es darum, beispielsweise durch Übungen mit dem Theraband bestimmte Bewegungen zu stabilisieren. Das hilft zum Beispiel dabei, dass man nicht zur Seite wegknickt, wenn man auf einem Bein landet und vom Gegner ein Impuls kommt.

Welche Spezialfälle des Kreuzbandrisses gibt es?

Es gibt Anrisse, wobei man auch hier unterscheiden muss, was verletzt ist. Je nachdem muss man Teile der Bänder ersetzen oder kann sie refixieren, also wieder anheften. Außerdem kann der Meniskus mit angerissen sein. Das ist dann komplexer. Und es gibt kindliche Kreuzbandrisse, die knöchern ausreißen. Das bedeutet, dass ein Stück des Knochens ausreißt, an dem das Band festsitzt. In diesem Fall wird bei der Operation der Knochenanteil wieder fixiert. Am Band selbst muss nichts gemacht werden.

Hatten sie schon prominente Patienten?

Nicht für eine Kreuzband-OP. In meiner Zeit in der Sportklinik Stuttgart habe ich aber den ein oder anderen bekannten Fußballspieler mit anderen Diagnosen mitbehandelt. Während meiner Zeit im Fichtelgebirge, wo Eishockey ja ganz groß ist, erinnere ich mich an einen Kanadier, den ich am Meniskus operiert hatte. Er war sehr zufrieden – und stand zehn Tage später wieder auf dem Eis. Das war allerdings nicht so in meinem Sinne. Aber es ist alles gut gegangen.

Zur Person

Werdegang Marc Patrick Fehrenbach ist gebürtiger Stuttgarter und in Echterdingen aufgewachsen. Nach dem Medizin-Studium an der Uni Gießen kehrte er  in die Heimat zurück und wurde Assistenzarzt an der Sportklinik Stuttgart.
Nach knapp fünf Jahren wechselte er nach Markgröningen, später nach Bietigheim und in die Novaklinik Biberach/Riss.
Im Jahr 2021 ereilte ihn ein Ruf aus dem Fichtelgebirge. In Marktredwitz wurde Fehrenbach Oberarzt in einer Sportklinik.
Aus familiären Gründen ging es aber bald wieder zurück in die Sportklinik Stuttgart  bis zu deren Schließung Ende 2023.
Seit Januar 2024 ist Fehrenbach Oberarzt in der Medius Klinik Ruit mit dem Schwerpunkt Sportmedizin.