Florian Roller (Zweiter von links) hier beim Weltcup im Schweizer Luzern im Doppelvierer mit Moritz Moos, Max Roeger und Joachim Agne (von links). Foto: dpa - dpa

Ruderer Florian Roller ist bereits Weltmeister – an der Hochschule Esslingen aber ein Student wie jeder andere.

EsslingenEsslingen, meint Florian Roller, gefalle ihm sehr gut. Vor allem die Altstadt sei wunderschön, genauso die Burg. „Ich war ganz erstaunt, wie anstrengend es sein kann, von der Stadt da hochzulaufen“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Der 26-Jährige, der seit dem Wintersemester 2016 an der Hochschule Esslingen Maschinenbau studiert, ist Leistungssportler und daher ganz andere Belastungen gewöhnt. Erst im September 2018 holte der Ruderer im bulgarischen Plovdiv zum dritten Mal den Weltmeistertitel im Doppelvierer Leichtgewicht. Auch 2015 und 2016 stand er mit dem deutschen Team ganz oben auf dem Podest. Was dabei kaum einer sieht: Hinter den Erfolgen verbirgt sich eine Meisterleistung des Zeitmanagements. Die Tage des Studenten sind von früh morgens bis spät abends durchgetaktet. „Langweilig wird mir eigentlich nie“, sagt Roller schulterzuckend.

Unter der Woche verlässt der Blondschopf täglich um Viertel nach sechs das Haus seiner Eltern in Markgröningen und macht sich auf den Weg nach Asperg. Von dort fährt er mit der S-Bahn über den Stuttgarter Hauptbahnhof nach Esslingen, wo um 7.35 Uhr die Vorlesung beginnt. Jeden Tag geht das so, ein Umzug an den Studienort komme für ihn aber dennoch nicht in Frage. Durch den Schäfertanz, den er in seiner sehr begrenzten Freizeit betreibt, sei er in der Heimatgemeinde einfach zu sehr verwurzelt. „Einmal im Jahr haben wir den Schäferlauf, das älteste Heimatfest Württembergs, wo ich in der Regel auch dabei bin“, erzählt er von seinem außergewöhnlichen Hobby. Zudem wäre ein Umzug gleich mit zusätzlichen Ausgaben verbunden. Geld, das er lieber sparen und in das Rudern investieren möchte.

Die Entscheidung, in Esslingen zu studieren, sei nichtsdestotrotz die richtige gewesen. Anders als die Universität Stuttgart, wo er zuvor sechs Semester Luft- und Raumfahrttechnik studierte und als Leistungssportler keinerlei Unterstützung erhielt, gilt die Hochschule Esslingen als beliebte Adresse unter Spitzensportlern. Sie zählt zu den sogenannten Partnerhochschulen des Spitzensports. Athleten werden gezielt gefördert und bekommen optimale Bedingungen, um die sportliche Karriere und die akademische Ausbildung zu vereinen. „Neben der Tatsache, dass das Studium in Stuttgart sehr theoretisch war, hat man dort als Leistungssportler überhaupt keine Wertschätzung erfahren“, nennt Roller seine Beweggründe, weshalb er 2016 den Laufbahnberater des Olympiastützpunktes Stuttgart aufsuchte und anschließend in Esslingen einen Neustart wagte.

„Geschenkt bekommt man als Leistungssportler aber auch in Esslingen nichts“, betont Roller. Der einzige Unterschied zu den übrigen Studierenden sei, dass auf die Termine des Sportlers mehr Rücksicht genommen wird. „Ab und an kann man mal eine Klausur verlegen oder zwischen den Semestergruppen wechseln“, sagt der Ruderer. Und die Professoren? Die würden sich immer wieder erkundigen, ob alles in Ordnung sei und man den Studieninhalten gut folgen könne. Davon abgesehen führe Roller aber ein Studentenleben wie jeder andere auch. Bei den Kommilitonen sei er ohnehin nur der Florian und auch sonst erkenne ihn auf dem Campus niemand. „Dazu sind wir Ruderer vermutlich nicht bekannt genug. Und außerdem bin ich ja an der Hochschule, um zu studieren, und nicht, um mich zu profilieren“, sagt Roller, der 2019 seine Bachelorarbeit schreiben möchte.

Nachmittags geht es für den 1,80 Meter großen Sportler dann grundsätzlich aufs Wasser. Bei der Stuttgarter Rudergesellschaft in Untertürkheim, seinem Heimatverein, steht die erste Trainingseinheit des Tages an. Im Einserboot spult er auf dem Neckar zwischen Inselbad Untertürkheim und Leuze rund 25 Kilometer ab. „Vom Wasser aus beobachte ich dann immer die Menschen, die am Neckarufer unterwegs sind. Vor allem während der Wasen-Zeit sieht man da ab und an wirklich komische Gestalten“, erzählt Roller, der dann meistens erst gegen 18 Uhr zuhause ist. „Abends stehen noch Hausaufgaben für die Uni an und gegen später mache ich noch eine Einheit auf dem Indoor-Ruder-Gerät.“ Nur im Sommer nicht: Da greift er für die zweite Einheit auch gerne mal auf das Freibad oder sein Rennrad zurück.

Generell gilt für den Profi aber: Zu viel Training gibt es nicht. 15 Einheiten pro Woche sind für ihn absolut normal. „Wenn ich nicht trainiere, werde ich ganz zappelig“, sagt Roller. Selbst in seiner Freizeit mache er deshalb meistens Sport. „Im Sommer nach der WM habe ich es mal zwei Wochen etwas ruhiger angehen lassen und auch mal im Garten gelesen oder etwas mit Freunden unternommen.“ Inzwischen seien die täglichen Einheiten aber wieder völlig normal. „Rudern macht mir einfach Spaß – das ist meine größte Motivation und treibt mich Tag für Tag an.“ Hinzu komme der Anspruch an sich selbst, immer besser zu werden. „Ich liebe es, Rennen zu fahren und mich mit anderen zu messen“, sagt Roller.

Wohin ihn das Training in Zukunft führt, kann er heute nicht sagen. Eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio wäre zwar schön, aber gleichzeitig nichts, das er um alles in der Welt erreichen will. „Ich werde natürlich alles dafür geben, aber wenn es nicht hinhaut, wäre es auch kein Beinbruch für mich.“ Trotz des Profidaseins steht für den Esslinger Studenten der Spaß im Vordergrund.

Ein Esslinger Student ist Ruder-Weltmeister

Im November 1992 wurde Florian Roller in Stuttgart geboren. Durch seine Eltern, die ebenfalls beide aktiv ruderten, kam er im Alter von drei Jahren erstmals mit dem Sport in Berührung. Nach den Anfängen in einem gelben Gummiboot folgte als Zwölfjähriger der Umstieg in ein echtes Ruderboot. Die ersten Erfolge ließen nicht lange auf sich warten: 2008 gewann Roller Gold bei der deutschen U-17-Meisterschaft im Einer Leichtgewicht. In den Jahren danach folgten weitere Medaillen bei Jugend-Meisterschaften auf nationaler und baden-württembergischer Ebene sowie Rollers bis dato größter Erfolg – eine Bronzemedaille bei der U-23-WM im österreichischen Linz im Doppelvierer. 2015 (im Deutschlandachter Leichtgewicht), 2016 und 2018 (jeweils Doppelvierer Leichtgewicht) gewann Florian Roller WM-Gold bei den Männern.