Die größte Sorge von Bundesfinanzminister Lindner ist die hohe Inflationsrate in Europa. Foto: AFP/INA FASSBENDER

Wegen des Ukraine-Krieges will die EU-Kommission die Staaten noch nicht ins Sparkorsett zwingen.

Die Entscheidung ist keine Überraschung. Die EU-Kommission hat am Montag vorgeschlagen, die europäischen Schuldenregeln auch 2023 noch ausgesetzt zu lassen. Als Grund nennt die Brüsseler Behörde die Unwägbarkeiten des Krieges in der Ukraine, der das Wachstum der europäischen Wirtschaft dämpft und auch zu einer höheren Inflation führt. Allerdings mahnte die Kommission, dass die Länder dennoch ihre Ausgaben kontrollieren sollen. „Die Fiskalpolitik sollte von der Universalunterstützung während der Pandemie zu gezielteren Maßnahmen übergehen“, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und kritisierte damit, dass die Staaten ihre Hilfen bisher bisweilen nach dem Gießkannenprinzip verteilt haben.

Regeln zum Schutz des Euro

Der sogenannte Stabilitätspakt soll den Wert des Euro schützen und zu große Unterschiede innerhalb der Währungsunion verhindern. Zu diesem Zweck wurden Regeln erlassen, die die Neuverschuldung von EU-Staaten auf drei Prozent und die Gesamtverschuldung auf 60 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung begrenzen sollen. Im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wurden diese Vorgaben allerdings seit 2020 ausgesetzt. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen sie also frühesten 2024 wieder in Kraft gesetzt werden.

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Nun müssen die EU-Länder einstimmig entscheiden, ob der Vorschlag der Kommission umgesetzt wird. Allerdings haben selbst die sparsameren Länder wie Deutschland, Österreich oder die Skandinavier keine Blockade angekündigt. Aufatmen dürfte es im Süden Europas geben. Staaten wie Italien, Portugal, Spanien, Frankreich oder Zypern weisen eine Schuldenquote von teils weit über 100 Prozent auf. Griechenland liegt sogar über 200 Prozent.

Große Sorge wegen der Inflation

Bundesfinanzminister Christian Lindner unterstrich vor einem Treffen mit seinen Kollegen in Brüssel, dass im Moment seine größte Sorge die steigende Inflation sei. Die Entwicklung müsse mit allen Mitteln eingedämmt werden, um schnell zur Stabilität zurückzukehren. Das könne nur über eine Reduzierung der Schulden und der Ausgaben geschehen. Lindner betonte auch, dass die europäischen Wirtschaftsdaten nicht zwingend dafür sprechen würden, die EU-Schuldenregeln noch ein weiteres Jahr auszusetzen. „Deutschland jedenfalls wird davon keinen Gebrauch machen.“ Die im Grundgesetz verankerte, wegen der Pandemie aber ebenfalls seit 2020 ausgesetzte, Schuldenbremse solle 2023 wieder eingehalten werden.

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Kritik an dem Schritt der EU-Kommission kommt auch aus dem Europaparlament. „Die weitere Aussetzung der Schuldenregeln ist ein schwerer Fehler, der uns langfristig teuer zu stehen kommen wird“, moniert Markus Ferber (CSU), wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. „Die Kommission ist mal wieder vor den Südstaaten eingeknickt. Die Kommission schlägt damit den nächsten Sargnagel für den Stabilitäts- und Wachstumspakt ein.“

Herausforderung für die Volkswirtschaft

Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, hält dagegen. „Es werden in den nächsten Monaten sehr viele Herausforderungen auf unsere Volkswirtschaften zukommen. Es wäre falsch, Länder nun zu unnötiger Haushaltsdisziplin zu zwingen. Sie müssen fähig sein, nötige Investitionen zu tätigen und einkommensschwache Haushalte zu unterstützen.“

Deutschland steht mit einem Schuldenstand von 69 Prozent des BIPs im vergangenen Jahr und einem Defizit von 3,7 Prozent im Vergleich zu anderen EU-Staaten relativ gut da. Das geht aus dem länderspezifischen Bericht der Kommission vom Montag hervor. Kritisiert wird daran allerdings der hohe Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands - also dass unter anderem mehr exportiert als importiert wird - und eine niedrige Investitionsrate. Dies schaffe ein Ungleichgewicht gegenüber anderen Ländern.

Mehr Investitionen in die Energiewende

Mehr private und öffentliche Mittel sind nach Angaben der Kommission für die Energiewende und die Digitalisierung notwendig. Unter anderem bürokratische Hürden hätten Investitionen zurückgehalten. Die Kommission warnte zudem, dass die deutsche Wirtschaft besonders von dem Krieg in der Ukraine betroffen sei - etwa wegen der Abhängigkeit von russischem Gas und anderen Rohstoffen aus Russland und der Ukraine. „Die Verschärfung von Lieferketten-Engpässen und gestiegene Kosten und Preise bremsen das Wirtschaftswachstum“, hieß es in dem Bericht. Deutschland müsse seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern.