Unvorstellbare Bilder: Das Vinzenzifest in Wendlingen wurde vor einem Jahr mit Menschen ohne Mund-Nasen-Schutz in unserer Zeitung angekündigt. Foto: Roberto Bulgrin

In der guten, alten Zeit vor genau einem Jahr – da war alles noch ganz anders. Da gab es noch Feste mit vielen, vielen Menschen. Da blickte der Einzelhandel noch optimistisch in die Zukunft. Und da gab es noch altmodische Dinge wie Vorlesungen oder Sportevents. In den Annalen der Eßlinger Zeitung geblättert....

Kreis Esslingen - Ja, sind die denn komplett verrückt geworden? Menschen flanieren dicht an dicht, ohne Masken und Sicherheitsabstand über die Straßen und grinsen dabei wie Honigkuchenpferde. Corona-Gegner? Virus-Leugner? Pandemie-Muffel? Verschwörungstheoretiker mit Schildern wie „Bill Gate muss weg“ und „Donald Trump hat immer recht“? Gemach. Gemach. Und weit gefehlt. An jenem wunderbaren, virusfreien Donnerstag, 22. August 2019, vor genau einem Jahr war ein Bild in unserer Zeitung, das die damalige Normalität ganz normal widerspiegelte: Zu der Vorankündigung des Vinzenzifestes in Wendlingen war ein Foto abgebildet, das Menschen in historischen Gewändern beim Umzug zeigt, und die Überschrift lautete „Traditionsreiches Fest mit Trachten und Volksmusik“. Damals ein Fest von vielen – doch heute wäre das eine kleine Sensation. Wandel der Zeiten. Wandel im Corona-Modus.

Als es noch Vorlesungen gab

In dieser guten, alten Zeit vor einem Jahr gab es auch so eigenartige Dinge wie Sportveranstaltungen mit Zuschauen, Schlachtenbummlern und Fans – und Sportler, die ohne Einschränkungen ihrer Leidenschaft frönen konnten. Und sogar welche mit Esslinger Wurzeln. Der beste deutsche Weitspringer, Fabian Heinle, so wurde in unserer Zeitung vermeldet, studiert an der Hochschule in Esslingen: „Während des Trainings brauche ich etwas Ablenkung. Da kommen die Vorlesungen in Esslingen sehr gelegen“, hatte der gebürtige Böblinger erklärt. Vorlesungen? Ach ja, das waren diese lehrreichen Veranstaltungen, bei denen sich Studierende vor Ort an Universität oder Hochschule trafen, um von einem Professor aus Fleisch und Blut in Präsenzunterricht intellektuell weitergebracht zu werden. Oder anders ausgedrückt: Vorlesungen waren die historischen Vorläufer der virtuellen Online-Dates mit dem Dozenten, zu denen sich Studierende heute am Tablet zuschalten, um dann später das so erworbene Wissen in Internetklausuren weiterzugeben.

„Osiader“ kündigte Umzug an

Lang ist’s her. Und die Älteren erinnern sich noch an Zeiten, in denen Berichte über den Einzelhandel nicht von Konkurssorgen oder Pandemie-Vorschriften geprägt waren. Als einfach nur vermeldet wurde, ein Geschäft zieht um oder ein Laden erweitert sich. So etwas heute Altmodisches tat vor genau einem Jahr die traditionsreiche Buchhandlung „Osiander“, die ihre bis dato beiden Standorte in der Bahnhofsstraße in Esslingen zu bündeln gedachte. Dass sich die Mitarbeitenden im neuen Geschäft inmitten hehrer Druckwerke und Schriften voll Geist, Gehirn und Gedanken mit so profanen Dingen wie Spuckschutz und Desinfektionsmittelbehältern auseinandersetzen müssen, hätte vor zwölf Monaten bestimmt keiner gedacht.

Altmodische Dinge wie Straßenfeste

Ein Vorhaben, wie es im Buche steht, dem Buch über die „Unendliche Geschichte“, bewegte aber auch vor einem Jahr die Esslinger – der geplante Neubau der „Zollberg-Realschule“ mit allen Erweiterungsmöglichkeiten. Die Überschrift lautete: „Rathaus hält sich alle Optionen offen“. Damals hatte das Rathaus noch alle Optionen, heute werden sie von Corona diktiert. So sehr, dass der Betrachter eines Fotos von harmlos Feiernden ohne Mund-Nasen-Schutz und Mindestabstand automatisch panisch zusammenzuckt. Nostalgie pur! Das gab es früher halt noch – so altmodische Dinge wie Feste mit Bewirtung, Straßenumzug und Musik.