Wer in Essen einen Corona-Verstoß melden will, muss dafür nicht zwangsläufig die Polizei verständigen. (Symbolfoto) Foto: dpa/Sebastian Gollnow

In Essen können Bürger einen Corona-Verstoß per Online-Formular melden – mit wenigen Klicks und anonym. Könnte das Vorgehen der Großstadt in Nordrhein-Westfalen sich auch in Stuttgart durchsetzen?

Essen/ Stuttgart - Den argwöhnischen Blick des Nachbars aus dem Fenster gab es schon immer. „Wen hat Herr xy heute mit nach Hause gebracht?“ oder „Welcher Wagen steht da eigentlich so ungeschickt geparkt vor der Tür?“ fragte sich bereits so mancher, neugieriger Hausbewohner. Seit März lauten die aufkommenden Fragen coronabedingt wohl eher „Sind das wirklich nur zwei Hausstände?“ oder „Was macht das Auto mit dem auswärtigen Kennzeichen hier?“ Die Hemmschwelle bis zur Verständigung der Polizei dürfte – für die meisten Menschen – in Fällen wie diesen groß sein. Doch der Griff zum Telefon ist gar nicht nötig, zumindest nicht in Essen. Denn die Stadt bietet auf ihrer Homepage ein Meldeportal für Corona-Verstöße an.

Ort, Zeit und Art des Verstoßes können dank eines Online-Formulars mit wenigen Klicks ausgefüllt werden. Wer will, kann ein Bild anhängen. Angaben zur eigenen Person müssen nicht gemacht werden. Laut Jasmin Trilling, Pressesprecherin der Stadt Essen, gibt es das Online-Formular seit Mai. Die Verwaltung habe sich wegen des hohen Beschwerdeaufkommens für die Einrichtung des Portals entschieden.

Meldungen zum Teil nicht nachvollziehbar

„Im Schnitt erhält das Ordnungsamt inzwischen zehn Meldungen pro Tag, auf allen Kanälen. Die Hälfte davon erreicht die Kolleginnen und Kollegen per Online-Formular“, sagt Trilling. Viele Eingaben seien allerdings nicht plausibel oder nachvollziehbar. Zudem gäbe es viele Doppelungen, weil sich Bürger per Telefon und über das Formular melden würden. Auch wenn in vielen Fällen kein Verstoß gegen die Coronaschutzverordnung festgestellt werden könne, gäbe es Fälle, die geahndet werden müssten. Oftmals reiche auch eine Belehrung und Ermahnung aus.

Das Online-Formular sorgt nicht automatisch für ein Ordnungswidrigkeitenverfahren, wie die Pressesprecherin der Stadt Essen betont. „Erst wenn das Ordnungsamt selbst zu dem Schluss kommt, dass ein Verstoß vorliegt, wird geahndet.“

Stadt Essen wehrt sich gegen Kritik

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hatte das Online-Formular Mitte Oktober scharf kritisiert und von einem „Denunziationsportal“ gesprochen. Bei Facebook schrieb er: „Die Tatsache, dass Bürgerinnen und Bürger jetzt im amtlichen Auftrag zu Denunzianten gemacht werden und Fotos aus dem öffentlichen Raum hochladen sollen, erinnert an schlimmste Zeiten.“

Die Stadt Essen wehrt sich gegen die Aussage von Kubicki. Die Kritik sei in dieser Vehemenz nicht nachvollziehbar. „Zum einen haben wir dieses Online-Formular zu keinem Zeitpunkt beworben oder die Essenerinnen und Essener dazu aufgefordert, Hinweise zu Verstößen zu melden. Wir haben auch vorher Beschwerden und Hinweise aller Art zu den Coronaschutzmaßnahmen erhalten“, sagt Trilling. Außerdem sei eine Behörde auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, beispielsweise wenn es um Kindeswohlgefährdung ginge. „Auch bei Verstößen gegen die Coronaschutzregeln geht es nicht um Bagatellen.“

Das Ziel des Portals sei nicht „die Bevölkerung zum sogenannten ‚Denunziantentum’ zu ermutigen“. Das Formular solle stattdessen helfen, die begrenzten Ressourcen möglichst effizient und effektiv einzusetzen, sagt Trilling.

Im Zweifel die Polizei verständigen

Ein Meldeportal für Corona-Verstöße wie in Essen soll es in Stuttgart nicht geben. Dies sei nicht nötig, man erlebe eine breite Akzeptanz der Vorgaben, wie Stadtsprecher Sven Matis sagt. „Natürlich wird hier und da von Verstößen berichtet, aber nun ein Portal zu eröffnen, ist unverhältnismäßig“, so Matis. Wem ein Verstoß auffällt, könne zunächst darauf hinweisen. „Wenn das nicht zweckmäßig ist, wäre im Zweifel die Polizei zu verständigen. Die Stadtverwaltung ist über die bekannten Kanäle zu erreichen bei Hinweisen oder auch Privatanzeigen.“

Wie viele Verstöße gegen die bestehenden Corona-Maßnahmen es bisher in Stuttgart gab, bleibt derweil unklar. Wie ein Pressesprecher der Polizei mitteilte, werden keine Statistiken darüber geführt, wie viele Anrufe es wegen entsprechender Vorfälle seit Ausbruch der Corona-Pandemie gab.