Der TVB Stuttgart kann an diesem Donnerstag mit einem Punktgewinn beim SC Magdeburg den THW Kiel auch rechnerisch zum Meister machen. Wie fällt das Fazit von TVB-Torwart Silvio Heinevetter aus? Mit welchen Erwartungen geht er in die neue Saison?
Nach dem 38:23 des THW Kiel gegen die HSG Wetzlar ist dem THW die deutsche Meisterschaft in der Handball-Bundesliga praktisch sicher. Die letzten rechnerischen Zweifel könnte der TVB Stuttgart mit einem Punktgewinn am Donnerstag (19.05 Uhr) beim Tabellenzweiten SC Magdeburg beseitigen. Am Sonntag (15.30 Uhr) kommt dann zum letzten Saisonspiel die siebtplatzierte TSV Hannover-Burgdorf in die Porsche-Arena – danach geht es für den TVB Stuttgart in die Sommerpause. Silvio Heinevetter schätzt die Lage beim Handball-Bundesligisten ein.
Herr Heinevetter, haben Sie den Fußballern des VfB Stuttgart in der Relegation die Daumen gedrückt?
Ja klar, vom heimischen Sofa aus vor dem Bildschirm. Ich fand es schon wichtig, dass der VfB in der Bundesliga spielt, das ist mir viel lieber als der Hamburger SV. Aber meinen Lieblingsclub Union Berlin werde ich nicht mehr wechseln.
Am Donnerstag könnten Sie mit einem TVB-Punktgewinn beim SC Magdeburg den aktuell vier PluspPunkte und 41 Tore besseren Spitzenreiter THW Kiel vorzeitig zum Meister machen. Gab’s schon Anrufe aus Kiel?
Nein, da gab es mehr gute Wünsche vor unserem Spiel gegen die Füchse Berlin (lacht). Letztendlich geht uns das Meisterschaftsrennen auch nichts an. Wir wollen in Magdeburg eine konzentrierte Leistung abrufen, der Rest ist mir schnuppe.
Das Torverhältnis könnte im Titelrennen am Ende auch noch eine Rolle spielen.
So detailliert stecke ich im Thema gar nicht drin. Ich schätze nur, dass sich der THW Kiel den Titel nicht mehr nehmen lässt. Dem SC Magdeburg zolle ich großen Respekt, wie gut er die prominenten Ausfälle wegsteckt, das lässt auf einen unfassbar guten Kader schließen. Ich wünsche dem SCM, dass er am 17. und 18. Juni beim Final Four in Köln die Champions League gewinnt.
Davon ist der TVB vor seinem neunten Bundesligajahr noch ein Stück entfernt. Die Saison endet auf einem enttäuschenden Platz 14 oder 15. Wie fällt denn Ihr Fazit aus?
Wir sind mit 0:10 Punkten unglaublich schlecht gestartet. Nach dem Trainerwechsel lief es besser. Von daher muss man es etwas differenziert betrachten.
„Wir haben uns gut entwickelt“
Was lief denn konkret besser?
Wir hatten eine bessere Struktur und haben uns im Laufe der Saison gut entwickelt. Das veränderte Abwehrsystem brachte uns mehr Sicherheit, wir standen kompakter, es wurde nicht mehr so viel antizipiert. Dass wir Torhüter davon profitieren, liegt in der Natur der Sache.
Sie selbst spielten eine starke Hinrunde, danach kam Miljan Vujovic immer besser zur Geltung. Wie beurteilen Sie Ihre eigene Leistung im ersten Jahr in Stuttgart?
Ich finde, dass es gar nichts bringt, einen einzelnen Torwart zu bewerten. Man muss immer das Gespann sehen. Und da muss ich wirklich sagen, ergänzen Miljan und ich uns sehr gut, wir unterstützen uns gegenseitig optimal.
Vujovic ist 22, Sie 38. Tut man sich im fortgeschrittenen Alter mit der Rolle als Teamplayer leichter?
Jeder entwickelt sich anders. Aber ein Torwart ist eben viel mehr als ich, ich, ich. Du kannst nicht in jedem Spiel 60 Minuten lang gut halten. Du brauchst den Input von deinem Torwartpartner – und von der gesamten Mannschaft. Darauf baue ich in der neuen Saison vom ersten Spieltag an.
In dieser Runde wurde das Saisonziel Platz zwölf verpasst, in der neuen lautet es sogar Top Ten. Klingt nach einer kniffligen Aufgabe – oder?
Das Ziel Top Ten ist ambitioniert, aber nicht unrealistisch. Wir haben viele Spiele knapp verloren und haben im Laufe der Saison einen guten Flow bekommen. Ich habe ein gutes Gefühl.
„Linkshänder sind immer gut“
Es heißt, es wird noch nach einem Linkshänder für den Rückraum gefahndet. Ist es nicht zwingend erforderlich, dass noch einer kommt?
Linkshänder sind immer gut, zumal wir derzeit nur einen haben. Grundsätzlich muss jeder von uns noch mehr aus sich herausholen.
Ihr Vertrag läuft bis 30. Juni 2024. Geschäftsführer Jürgen Schweikardt kann sich vorstellen, auch darüber hinaus mit Ihnen weiterzumachen. Sie auch?
Also Stuttgart ist eine schöne Stadt, der TVB ist ein guter Verein, ich fühle mich sehr wohl, das ist schon mal das Wichtigste. Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf die letzten zwei Saisonspiele, dann auf den Urlaub und darauf, mal nicht an Handball zu denken. Alles Weitere sieht man dann.
Ihr Kumpel, der Bundesliga-Rekordtorschütze Hans Lindberg, mit dem Sie in Berlin zusammenspielten, wird im August 42 und hängt noch eine weitere Saison dran. Ist er ein Vorbild für Sie?
Hans ist ein unglaublich cleverer, kaltschnäuziger Spieler mit einem unfassbaren Bewusstsein für seinen Körper. Grundsätzlich ist es für ihn als Außenspieler oder auch für mich als Torwart etwas leichter, länger zu spielen, als für einen Rückraummann oder Kreisläufer.
Was trauen Sie denn den deutschen Handballern bei der Heim-EM im kommenden Januar zu?
Wenn sie erfolgreich starten, viel. Wenn man bei solch einem Turnier nicht das Halbfinale als Ziel ausgibt, ist man fehl am Platz.
„Späth gehört die Zukunft“
Offiziell haben Sie Ihren Rücktritt von der Nationalmannschaft noch nicht erklärt?
Man muss sich nicht wichtiger nehmen, als man ist. Die Mannschaft ist gut aufgestellt.
Auch im Tor?
Gerade im Tor. Andi Wolff steht voll im Saft, und David Späth mit seinen 21 Jahren von den Rhein-Neckar Löwen hat Riesenpotenzial. Er ist für mich eindeutig der Mann der Zukunft im deutschen Handballtor.
Zur Person
Vita
Silvio Heinevetter wurde am 21. Oktober 1984 in Bad Langensalza geboren. Nach der Jugend spielte er bis 2005 für den 1. SV Concordia Delitzsch. Danach vier Jahre für den SC Magdeburg und von 2009 bis 2020 für die Füchse Berlin, wo er zu einer Identifikationsfigur wurde. Von 2020 bis zum Ende der vergangenen Saison stand er bei der MT Melsungen im Tor, seit 1. Juli 2022 läuft sein Zweijahresvertrag beim TVB Stuttgart. Heinevetter absolvierte 204 Länderspiele für Deutschland, sein größter Erfolg war die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2016. 2007 (mit dem SC Magdeburg) sowie 2015 und 2018 jeweils mit den Füchsen Berlin gewann er den EHF-Pokal. Mit Berlin feierte er auch 2015 und 2016 die Vereinsweltmeisterschaft.
Persönliches
Silvio Heinevetter mag Schlager, insbesondere auch von Andrea Berg. Er ist Fußballfan und unterstützt Union Berlin. Von 2009 bis 2021 war der Torwart mit der Schauspielerin Simone Thomalla liiert. Aktuell lebt er mit seiner Freundin in Bad Cannstatt. (jüf)