Dinah Eckerle in Aktion für die SG BBM Bietigheim: Von Sommer an zeigt die Handball-Nationaltorhüterin ihre Paraden in Ungarn bei Siofok KC. Foto: Baumann

Der Trend ist eindeutig: Zahlreiche Handball-Asse aus der Frauen-Bundesliga wechseln im Sommer nach Ungarn. Woher kommt die Attraktivität dieser Liga?

Stuttgart - Ungarn – der Nabel der Handballwelt? Zumindest für den weiblichen Bereich trifft dies zu. In der kommenden Saison werden zahlreiche Nationalspielerinnen aus der Bundesliga zu Clubs nach Ungarn wechseln. Bundesligist Thüringer HC konnte Torhüterin Ann-Cathrin Giegerich (Debrecen VSC) sowie die Rückraumspielerinnen Alicia Stolle und Emily Bölk (beide FTC Budapest) nicht halten, der deutsche Meister SG BBM Bietigheim verlor Torfrau Dinah Eckerle sowie die Niederländerinnen Laura van der Heiden (beide Siofok KC) und Angela Malestein (FTC Budapest). Julia Behnke zieht es vom russischen Top-Club Rostow Don ebenfalls zu FTC Budapest. „Eine Menge Qualität geht verloren. Das ist nicht gut für die Liga. Wir hätten alle unsere Spielerinnen unglaublich gerne gehalten, aber wir hatten nicht den Hauch einer Chance“, sagt Thüringens Coach Herbert Müller.

Ob die Coronakrise an diesem Trend etwas ändern werde. „Im Gegenteil“, ist sich Herbert Müller sicher, „die meisten Clubs in Deutschland wird die Krise viel, viel härter treffen, als die ungarischen.“ Warum? „Weil die Firmen bei uns dadurch weniger in den Sport investieren können, die ungarischen Vereine aber vom Staat weiter unterstützt werden. Und deshalb besser durch die Krise kommen.“ Thorsten Nick, der Geschäftsführer der SG BBM Bietigheim, relativiert diese These: „Die Coronakrise wird zu einer europaweiten Belastung für den Sport. Weil nicht nur die Gelder der Unternehmen ins Kerngeschäft fließen, sondern vielleicht auch ein Staat wie Ungarn das Geld für Krankenhäuser oder ähnliches braucht.“

Fernsehen zieht mit

Großartig verschieben dürfte sich der Trend nach Ungarn nicht. Und es stellen sich die Fragen: Woher kommt die Attraktivität der Liga und des Landes? Wie wurde Ungarn zur Hochburg des Frauen-Handballs? Zum einen ist der Stellenwert dort schon immer sehr hoch. Das Final Four um die Krone in der Champions League geht seit 2014 (und noch bis mindestens 2024) in der Hauptstadt Budapest über die Bühne. Die Hallen sind voll, die Fans äußerst begeisterungsfähig. Im frei empfangbaren Fernsehen werden jede Woche mehrere Ligaspiele übertragen, die Starspielerinnen sind regelmäßig in großen TV-Sendungen zu sehen.

Zum anderen pumpt nicht nur der Staat und die Regionen sehr viel Geld in den Sport. Auch Investoren aus der ungarischen Privatwirtschaft gibt es reichlich. Die internationale Präsenz der Clubs zieht überregionale Sponsoren an, auch deutsche Unternehmen wie Audi, Lidl und Schäffler. Die Steuererleichterung befeuern das Engagement.

Audi unterstützt Györ

Audi unterstütz seit Jahren Györ, der Club mit dem geschätzten Jahresetat von sieben Millionen Euro ist seit Jahren das Maß aller Dinge in Europa und hat zuletzt dreimal hintereinander die Champions League gewonnen. Nun ist auch FTC Budapest zur internationalen Elite aufgestiegen. Mutterverein Ferencvaros Budapest, die Fußballer spielten in der Europa League, ist die bekannteste Sportmarke des Landes. „Der Clubpräsident ist politisch bestens vernetzt“, weiß Müller. Mit einem fähigen Management-Team hat er den Club nach der Pleite vor zehn Jahren mit Weitsicht wieder aufgebaut. Die Rahmenbedingungen sind hochprofessionell, genauso wie bei den weiteren Spitzenclubs Siofok (EHF-Pokal-Sieger) und Debrecen. „Davon werden die deutschen Spitzenspielerinnen profitieren, sie werden an diesen Erfahrungen wachsen, und dies alles wird sich positiv auf die Nationalmannschaft auswirken“, sagte Ex-Nationalspielerin Anja Althaus, die schon in Györ am Ball war, vor kurzem im Podcast „Kreis ab“.

Und was hat die Bundesliga entgegenzusetzen? „In Deutschland kann nur ein Team einigermaßen mithalten: Die SG BBM Bietigheim. Nur sie kann sich auch mit Top-Spielerinnen aus dem obersten Regal bedienen“, betont THC-Trainer Müller. Über die Neuzugänge wie Stine Jorgensen und Trine Ostergaard Jensen (beide Odense Handbold) und Xenia Smits (Metz Handball) darf sich Bietigheims Neu-Coach Markus Gaugisch freuen. Sie sind hochkarätig, gegen die ungarische Übermacht anzukommen, dürfte trotzdem schwerfallen.