Eher ein Bild der Seltenheit: Polizeikontrolle in einer Stadtbahn. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Sexuelle Übergriffe und Exhibitionismus im Stuttgarter öffentlichen Nahverkehr häufen sich. Videobilder sind die letzte Hoffnung – aber die Polizei muss schnell sein.

Womöglich verraten Videobilder mehr. Noch immer unklar ist die Identität des Täters, der eine junge Frau in einer Stadtbahn sexuell belästigt hat. „Wir haben die Daten gesichert, sie müssen noch ausgewertet werden“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Gesucht wird ein Mann um die 30, der am Sonntagnachmittag in einer Bahn der Linie U 7 zwischen Degerloch und dem Bopser in der Innenstadt seinen Geschlechtstrieb auslebte. Es ist nicht der einzige solche Zwischenfall im öffentlichen Nahverkehr in letzter Zeit.

Belästigung auf der Fahrt im Tunnel

Es ist eine Situation, die Frauen fürchten, wenn sie alleine in S-Bahn, Stadtbahn oder Linienbus unterwegs sind – Männer, die auf relativ engem Raum aufdringlich und zudringlich werden. Eine 22-Jährige ist am Sonntag kurz nach 16 Uhr in einer Stadtbahn von der Waldau in Degerloch hinunter zum Bopser Richtung Innenstadt unterwegs. Es werden fünf lange Minuten durch den Tunnel. Denn ihr gegenüber sitzt ein Mann, der sie in diesen Minuten belästigt.

Etwa 30 Jahre alt, 1,85 Meter groß, blonde kurze Haare, buschige Augenbrauen, blau-grüne Augen, schwarze Kopfhörer, schwarze Schutzmaske, schwarze Jacke, graue Jogginghose, ungepflegt, schwäbisch sprechend. Er berührt sie mehrfach mit den Beinen, dann entblößt er sich. Die Frau droht die Polizei zu verständigen, das macht sie dann am Ende der Tunnelfahrt an der Haltestelle Bopser, wo der Unbekannte aussteigt und untertaucht. Eine Fahndung der Polizei bleibt erfolglos.

Wie lange werden Videos gespeichert?

In diesen Tagen häufen sich die Anzeigen wegen sexueller Belästigung – besonders im öffentlichen Nahverkehr. Am vergangenen Freitag etwa meldete eine 15-Jährige, dass sie in einem Bus der Linie 73 von Degerloch Richtung Filder von einem Mann mit grauem Vollbart und Ohrringen bedrängt worden sei. Die Jugendliche stieg vorzeitig aus, die Ermittlungen laufen.

Auf Videoaufzeichnungen im Bus können die Ermittelnden nicht zurückgreifen – wohl aber im Stadtbahn-Fall. „Es gehört zum Standardprogramm, dass Aufzeichnungen gesichert und ausgewertet werden, wenn sie vorhanden sind“, sagt Polizeisprecher Widmann. Die ersten Beamtinnen und Beamten am Tatort seien hier sensibilisiert – denn die Uhr tickt. Die Aufnahmen werden 36 Betriebsstunden lang gespeichert. Nur die Standzeiten im Depot zählen nicht mit.

Manchmal zeigen Zeugen Zivilcourage

Im Fall einer 54-jährigen Frau, die im Juli an der Stadtbahnhaltestelle Hackstraße im Stuttgarter Osten von einem etwa 60-jährigen Mann beleidigt und begrapscht wurde, war in Sachen Video indes nichts mehr zu machen. Die Frau habe erst 93 Stunden später Anzeige erstattet, sagt Widmann. Und das auch nur, weil sie von einem ähnlichen Zwischenfall am Rotebühlplatz tags darauf gelesen hatte.

Dabei hatte die Betroffene insofern Glück, weil sich ein Zeuge couragiert einmischte und den Unbekannten zurückdrängte. Das ist durchaus nicht selbstverständlich und wundert auch den Helfer: „Ich habe festgestellt, dass die meisten Menschen, wenn so etwas passiert, sich überhaupt nicht einmischen und so tun, als ob sie gar nichts bemerkt haben.“ Man müsse den Mut haben, in diesen Situationen etwas zu tun.

Älterer Fall in S-Bahn ist geklärt

Die gibt es vor allem im S-Bahn-Bereich. Noch immer ungeklärt ist dabei ein Fall im August, bei dem zwei zwölf und 13 Jahre alte Mädchen in einer S 2 zwischen Endersbach und Waiblingen sexuell belästigt wurden. Dabei helfen der Bundespolizei manche Videoaufzeichnungen durchaus. Etwa bei einer Fahrt in der S-Bahn S 23 Anfang September in Richtung Backnang, als ein Mann drei 23-jährige Frauen belästigte. Dabei versuchte er ständig deren Hände zu berühren und redete auf sie ein. Als die Frauen in Bad Cannstatt ausstiegen, folgte er ihnen. Die Betroffenen stiegen daraufhin schnell wieder ein, und der Unbekannte blieb draußen. Dreist schaute er durchs Fenster und nahm sexuelle Handlungen an sich vor.

„Dieser Tatverdächtige konnte später ermittelt werden“, sagt Denis Sobek, Sprecher der Bundespolizeiinspektion. Dank Videoaufzeichnungen und weiteren Ermittlungen wurde ein 32-Jähriger ausfindig gemacht, der „aus dem Großraum Stuttgart“ stammt. Der Mann war bereits polizeilich auffällig – und sieht nun einer Anklage entgegen.