Prostituierte fordern in Stuttgart ihre Rechte ein. Foto: dpa/Andreas Arnold

In Stuttgart hat erstmals eine Sexarbeitskonferenz stattgefunden, bei der es vor allem um rechtliche und moralische Hürden, um Diskriminierung und Hilfen ging. Für die Beteiligten ist das in erster Linie ein Bekenntnis zu legaler Prostitution.

Stuttgart - Nicole Schulze aus Trier redet Tacheles: „Es war ein schwerer Kampf, einen regulierten Straßenstrich zu bekommen. Er lag 1,5 Kilometer außerhalb der Stadt, an der Straße gab es kein Licht und keine Toiletten. Die Frauen konnten die Kondome, Feuchttücher und anderen Müll nicht loswerden.“ „Heute haben wir an unserem Straßenstrich Toiletten, Mülleimer, Verrichtungsboxen und eine Beratungsstelle an Ort und Stelle.“ Und es ärgere sie, dass sie von Gegnern der Prostitution „als Opfer dargestellt“ werde.

Bevormundung wird abgelehnt

150 Besucher sind an zwei Tagen in die Stuttgarter Liederhalle gekommen, rund 120 Teilnehmer haben sich online zur ersten Sexarbeitskonferenz in Stuttgart zugeschaltet. Gemäß dem Motto der Präventionskampagne der Deutschen Aidshilfe – „Ich weiß, was ich tu“ – tauschten sich dort Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen aus, untereinander, mit Ämtern und Hilfsorganisationen. Den kräftigsten Applaus gab es beim Protest gegen eine Bevormundung durch Aktivistinnen, die für ein Sexkaufverbot eintreten. Ein solches würde Freier bestrafen.

Die Stuttgarter Aidshilfe hat der Veranstaltung mit 5000 Euro finanziell und in vielen Dingen auch organisatorisch auf die Sprünge geholfen, wie Franz Kibler, der Geschäftsführer, sagt. Insbesondere deshalb, weil ein Verbot die Prostitution wie zu Zeiten von Corona in die Illegalität treibe. Vom Gewerkschaftshaus sei die Veranstaltung abgelehnt worden, weil dort Organisationen „mit dezidiert anderer Auffassung“ vertreten seien, sagt er. „Wir brauchen ein Forum, in dem sich Betroffene äußern können“, so Kibler.

CDU-Politiker will sich für Akzeptanz einsetzen

Stefan Kaufmann, Bundestagsabgeordneter der CDU und treuer Unterstützer der Aidshilfe, hat nach eigenem Bekunden „nicht lange überlegt“, als er gebeten worden sei, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Während sich die Frauenunion der CDU für ein Sexkaufverbot ausspricht, sagt Kaufmann, der im Wahlkampf für Vielfalt wirbt: „Tabus führen zur Sprachlosigkeit, deshalb bin ich gegen ein pauschales Sexkaufverbot.“ Er setze sich für „mehr Akzeptanz, eine bessere Gesundheitsversorgung und Beratung“ ein.

Man müsse das Problem dort lösen, wo es entsteht, argumentierte Wolfgang Stoll, Leiter des Diakonischen Werks Karlsruhe. Stoll war in die Schlagzeilen geraten, weil er sich gegen ein Sexkaufverbot ausgesprochen hatte. Der materielle Zwang und die Gewalt, dem Prostituierte aus Osteuropa unterliegen, müssten in den Herkunftsländern bekämpft werden.

Genossenschaftsmodell erwogen

Mitte kommenden Jahres soll das Prostitutionsschutzgesetz evaluiert werden. „Wegen Corona ist es in seiner Wirksamkeit aber gar nicht objektiv überprüfbar“, sagt Franz Kibler. In Stuttgart gebe es 500 Prostitutionsplätze, aber nur fünf seien legal: „Da besteht doch ein massiver Handlungsbedarf.“ Isabell Fuhrmann, Sexualberaterin und Mitglied des Runden Tisches Prostitution beim Land, listet auf: Zugang zur Krankenversicherung, die Bildung von Genossenschaftsmodellen („mein Traum!“) und gute Arbeitsbedingungen für alle. Die Stuttgarter Domina Daria Oniér will deshalb „nicht aufhören zu reden“. Zunächst in einem Unterausschuss des Runden Tischs Prostitution, in dem auch John Heer, der Betreiber von Laufhäusern in Stuttgart, seine Interessen vertritt. Insbesondere um versteckte Methoden, die Prostitution aus Stuttgart zu verbannen, solle es gehen: „Stuttgart versucht, die Prostitutionsbetriebe übers Baurecht draußen zu halten.“ Anträge auf Konzessionen seien seit 2017 unbearbeitet geblieben, den Platz am Runden Tisch habe man sich erkämpfen müssen, so Oniér.

Engagement für den Straßenstrich

Stefan Kaufmann pflichtet ihr bei: „Ich kenne die evangelikalen Kräfte in der Stadt, die die Vorbereitung dieser Konferenz möglicherweise zu verhindern suchten. Für mich aber beginnt Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit, dem dient diese Konferenz.“