In der RTL-Miniserie „Sisi“ spielt Dominique Devenport die junge Kaiserin, Jannik Schümann den Kaiser. Foto: RTL/Story House Pictures/René Arnold

Deutschlands liebstes Adelsmärchen wird neu erzählt: RTL zeigt zunächst im Streaming und dann linear die sechsteilige Miniserie „Sisi“.

Stuttgart - Der Adel hat eben viel freie Zeit. Prinzessin Elisabeth, eine der Töchter des Herzogs Max Joseph in Bayern und der Prinzessin Ludovika Wilhelmine, liegt am helllichten Tage angekleidet auf dem Bett. Die Kamera kriecht ihre Beine entlang aufwärts, und das ist lüstern indiskret. Denn Elisabeth hat gerade die Hand zwischen ihren Schenkeln und Spaß dabei.

So keck beginnt die sechsteilige RTL-Miniserie „Sisi“, die Deutschlands beliebtestes Hochadelsmärchen noch einmal neu erzählt. Mit der Selbstbefriedigung der Titelheldin soll gleich mal klargemacht werden: Dies ist nicht ganz jene Sisi, die wir aus den seit den 50er Jahren nie mehr von ihrem Prachtplatz in der deutschen Hummel-Figuren-Vitrine gewichenen Kinofilmen mit Romy Schneider kennen.

Eine Sisi zum Weiterempfehlen

Kaum aber wird Sisi (die Newcomerin Dominique Devenport) von ihrer älteren Schwester Néné (Pauline Rénevier) gestört, lacht sie gewinnend. Sie ist kein fieses Luder wie so viele der schmarotzenden Klasse. Gleich wird sie ganz unstandesgemäß barfuß durch den Park hüpfen, dann wild durch die Gegend reiten, als habe sie von den erstickenden Sittlichkeitsregeln der Höfe nie gehört. Und auch diese Sisi versteht sich prima mit ihrem Vater, der mehr auf Natürlichkeit als auf Zeremoniell gibt.

„Sisi“ ist das anspruchsvollste Großevent der RTL-Gruppe am Jahresende, Teil jener Offensive, mit der man mit den öffentlich-rechtlichen Sendern in Sachen Anspruch gleichziehen möchte. Vor allem aber: Teil des Versuchs, nachhaltige Serien für die lange Auswertung beim eigenen Streamingdienst RTL+ zu schaffen: Angebote mit Weiterempfehlfaktor, für die Menschen bereit sein könnten, Geld auszugeben, und die das mehrfache Sehen lohnen. Am 12. Dezember startet „Sisi“ zunächst im Streaming bei RTL+, am 28., 29. und 30. Dezember werden je zwei Folgen linear ausgestrahlt.

Eigentlich ein Märchenstoff

Sisis ältere Schwester Néné soll 1853 an Österreichs jungen Kaiser Franz Joseph verheiratet werden. Aber dann funkt es zwischen Franz Joseph und der damals 15-jährigen Elisabeth. Der Backfisch wird Kaiserin – und wider Erwarten nicht vom höfischen Räderwerk im Nu zerrieben. Sisi setzt im Palastleben eigene Akzente. Das ist eigentlich ein Märchenstoff, und so hat ihn der routinierte Regisseur und Drehbuchautor Ernst Marischka, Jahrgang 1893, in den Fünfzigern auch auf die Leinwand gebracht.

Er hat das Sehnsuchtsbild eines heileren alten Weltwinkels voll herzensguter Menschen abgeliefert, die sich erfolgreich wehren gegen ein paar Schurken und erstarrte Regeln. Mit verzücktem Blick auf den Glanz der Oberen und Idyllenseligkeit beim Ausflug in Wald, Felder und Prachtgärten hat Marischka den deutsch-österreichischen Wunsch bedient, die Nazijahre einfach zu vergessen, die Feuerstürme und Mordorgien in Europa – und jenen dynamischen Wiederaufbaueifer gleich mit, der eine kommende, nicht nur komfortable Beschleunigung des Lebens zumindest ahnen lassen konnte.

Ein Kaiser, der Angst macht

Auch wer die alten Filme nicht kennt, merkt: Sie schreien geradezu nach Dekonstruktion, kalter Dusche und Entkitschung. Zugleich ist jeder Sender gut beraten, die noch immer aktuelle Krönchenbegeisterung vieler Menschen mit einem modernisierten Märchen zu bedienen. Wo echte Royals vor allem durch Krisen und Skandale Schlagzeilen machen, da kann eine mit modernem Werbekameraschick aufgeputzte „Goldene Blatt“-Variante von Sisis Liebe starke Bedürfnisse bedienen und auf satte Quoten hoffen.

Der Showrunner Andreas Gutzeit, sein Drehbuchteam und der Regisseur Sven Bohse schaffen es nicht immer bruchfrei, aber insgesamt erstaunlich gut, diese Ansätze zu kombinieren. Néné nimmt die Kränkung, nicht erwählt worden zu sein, nun nicht mehr mit Schwamm-drüber-Attitüde hin, und neben Marcus Grüssers Herzog Max ist Gustav Knuths Herzog in den alten „Sissi“-Filmen eine Kasperlestheaterpuppe. Franz Joseph ist ein zwielichtiger, von Stand, Erziehung, Macht und Pflichten bereits deformierter Charakter. Jannik Schümann spielt ihn nicht als Karikatur eines verwöhnten Egomanen. Aber wenn dieser Kaiser Sisi anlächelt, bekommt man doch ein wenig Angst um sie.

Der Schatz und die Todesurteile

Immer wieder liefert „Sisi“ die kalkulierte Gegenversion zu Momenten der „Sissi“-Filme. In den Kitschklassikern wird das edle Gemüt von Franz Joseph etwa dadurch gezeigt, dass er zur Empörung seines Beamtenapparates zögert, Todesurteile für eine Gruppe ungarischer Aufständischer zu unterzeichnen. In der Serie nickt der junge Kaiser eine Hinrichtung nicht nur ab, er wohnt ihr persönlich bei. Der von Karlheinz Böhm gespielte Kaiser der Filme will am liebsten seine Sissi immer nur mit Spiegeleiaugen anschmachten. Der moderne Franz Jospeh nimmt mal eben Abschied von der Verlobten und besucht ein Bordell. Dort lässt sich Sisi später Tipps geben, was ihr Künftiger von ihr erwarten könnte.

Und doch trifft auf die neue Sisi noch immer zu, was Böhms Romantiker im ersten Film über die alte sagt: „Sie ist die Anmut selbst, und ihr Charme ist von einer Herzlichkeit, wie ich ihn überhaupt noch nie erlebt habe. Sisi ist ein Schatz.“ Man fragt sich jetzt nur banger, was auf sie zukommen mag.

Das „Sisi“-Event

Rundumschlag
Basierend auf der RTL- Serie kommen zwei neue „Sisi“-Romane von Elena Hell in die Buchhandlungen, „Sisi: Das dunkle Versprechen“ und „Sisi: Verlangen und Verrat“, beides Rowohlt-Taschenbücher. Außerdem gibt es allerlei neue Sachbücher zu Sisi. Kurz vor Weihnachten soll bei RTL+ ein fünfteiliger Podcast zur historischen Figur folgen. Obendrein streamt RTL+ auch die drei „Sissi“-Filme mit Romy Schneider sowie „Mädchenjahre einer Königin“.

Ausstrahlung
RTL+ streamt „Sisi“ ab 12. Dezember 2021. RTL zeigt Doppelfolgen am 28., 29. und 30. Dezember, jeweils 20.15 Uhr.