Kämpft an allen diplomatischen Fronten: Wolodymyr Selenskyj. Foto: dpa/Olivier Matthys

Der ukrainische Präsident Selenskyj drängt in die EU, doch es gibt Hindernisse. Brüssel-Korrespondent Knut Krohn warnt vor übertriebenen Hoffnungen.

Der Apparat in Brüssel hat schon viele Politiker kommen und gehen sehen. Dieses Mal aber drängten sich Parlamentarier und Mitarbeiter schon lange vor der Ankunft von Wolodymyr Selenskyj vor dem Plenarsaal. Alle wollten einen Blick auf den ukrainischen Präsidenten erhaschen. Der Mann, anfangs noch von vielen als Komiker im Amt eines Staatschefs verspottet, ist längst zu einer Person der Zeitgeschichte geworden. Selenskyj ist nach dem Überfall Russlands auf sein Land das Gesicht eines Widerstands, dessen Erfolg nicht einmal die größten Optimisten der Ukraine zugetraut hätten.

Dieser Krieg erinnert Europa daran, dass auch die eigene Freiheit und Demokratie überaus zerbrechliche Werte sind. Darauf hat Wolodymyr Selenskyj in seiner emotionalen Rede im Parlament zu Recht hingewiesen. Und er erinnerte daran, dass in der Ukraine jeden Tag Menschen sterben, damit der Rest Europas in Frieden leben kann. Diese Erkenntnis wird in Brüssel geteilt. Aus diesem Grund hat sich die EU sehr schnell entschieden, Kiew im blutigen Kampf gegen Russland nicht nur mit Geld, sondern auch mit der Lieferung von Waffen und Munition zu unterstützen. Das Ziel ist klar: Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren.

Kiew steht vor einem mühsamen Reformprozess

Doch Wolodymyr Selenskyj hat die Reise durch das Kriegsgebiet nicht auf sich genommen, um sich lediglich für die Hilfe für sein Land zu bedanken – und angesichts der bevorstehenden Offensive Russlands mehr moderne Waffen zu fordern. Der Präsident will die Ukraine in die Europäische Union führen. In Brüssel scheint er mit dieser Forderung offene Türen einzurennen. Doch die überraschend schnelle Vergabe des Status eines Beitrittskandidaten weckt in Kiew große, aber auch unrealistische Hoffnungen.

Es ist eine politische Entscheidung, Kiew den Weg in die Zukunft zu weisen und deutliche Signale an Russland zu senden, dass die Ukraine ein Teil Europas ist. Auf der anderen Seite stehen sehr hohe Hindernisse, die einen Beitritt des Landes zur Europäischen Union auf viele Jahre hinaus unmöglich machen werden.

Ein Ende des Krieges würde für die Ukraine den Beginn eines sehr langen und mühsamen Reformprozesses einläuten. Vor dem endgültigen Beitritt zur Europäischen Union müssen unzählige Kriterien erfüllt, Tausende Gesetze und Vorschriften angepasst werden. Voraussetzung sind etwa ein funktionierendes Rechtssystem und das Prinzip der Gewaltenteilung, zudem muss das Einhalten demokratischer Regeln auf allen Ebenen gesichert sein. Auch muss die Wirtschaft so aufgebaut werden, dass sie nach einem Beitritt dem Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt standhält. Die EU kann auf das Erfüllen dieser Kriterien nicht verzichten, denn davon hängt das Funktionieren und damit auch das Überleben der Union selbst ab.

Die Lieferung von Kampfjets ist nötig

Für die EU und die Ukraine ist die europäische Perspektive ein starkes Symbol. Wesentlich wichtiger ist es im Moment allerdings, die russischen Angriffe zurückzuschlagen und den Krieg erfolgreich zu beenden. Dazu muss Europa Kiew weiter finanziell, humanitär und vor allem auch militärisch unterstützen. Richtig ist es deshalb, der Ukraine moderne Kampfpanzer zu liefern. Denn der Kreml wird sich erst an den Verhandlungstisch setzen, wenn dieser blutige Krieg für Russland auf dem Schlachtfeld nicht mehr zu gewinnen ist. Aus diesem Grund sollte sich Europa auch darauf vorbereiten, der Ukraine eines Tages Kampfjets liefern zu können. Das wäre ein deutliches Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der offensichtlich nur noch die Sprache der Stärke versteht.